Projekt

Die Entwicklung der Berufsbildung in der Schweiz im Spannungsfeld zwischen Bund und Kantonen. Die entscheidenden Jahre zwischen 1950 und 1970

Die Schweizer Berufsbildung (BB) zeichnet sich durch eine besondere Eigenschaft aus: sie ist zwar auf Bundesebene reglementiert, weist aber erhebliche kantonale Unterschiede auf, besonders in Bezug auf die Beteiligung an der dualen Berufslehre. In diesem Forschungsprojekt wurde die Entwicklung der Berufsbildung in den drei Kantonen Genf, Zürich und Tessin zwischen 1950 und 1970 untersucht. So konnte aufgezeigt werden, wann diese kantonalen Unterschiede entstanden und welche massgeblichen Faktoren einerseits die Entwicklung der Schweizer Berufsbildung bestimmten und andererseits die Unterschiede zwischen den Kantonen, wie wir sie noch heute kennen, herbeiführten.

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Das Projekt wurde in Zusammenarbeit mit Prof. Philipp Gonon von der Universität Zürich durchgeführt.

Zwar wird die Berufsbildung seit 1930 in einem Bundesgesetz geregelt, trotzdem hatten die Kantone immer eine gewisse Handlungsfreiheit bei der Festlegung ihrer eigenen Berufsbildungspolitik. Dieser Handlungsspielraum zeigt sich in den aktuellen kantonalen Unterschieden beim Betrieb von Bildungsgängen der Sekundarstufe II (Sek II). Diese Unterschiede lassen sich wie folgt zusammenfassen: lateinische Kantone neigen eher dazu, schulische Angebote der Sekundarstufe II (Berufslehre an einer Vollzeit-Berufsfachschule, allgemeinbildende Ausbildung) zu fördern, während die deutschsprachigen Kantone auf die duale Berufslehre setzen.

Unser Forschungsprojekt hat aufgezeigt, dass sich diese Unterschiede zwischen 1950 und 1970 herausbildeten und an Bedeutung gewannen. Seit diesem für das Schweizer Bildungssystem entscheidenden Zeitraum verzeichnen die lateinischen Kantone systematisch weniger Lernende in der dualen Ausbildung als im Schweizer Durchschnitt.. Die Jahre zwischen 1950 und 1970 waren geprägt von wirtschaftlichem Aufschwung, Schulausbau, Fachkräftemangel und zunehmender Komplexität der Qualifikationen. In dieser Zeit kamen auch die Themen Chancengleichheit und Demokratisierung der Bildung als zentrale Themen bei Diskussionen rund um das Schweizer Bildungssystem auf.

Im Rahmen des Projekts wurde die Situation in drei Kantonen (Genf, Tessin, Zürich) untersucht. Es zeigt auf, wie unterschiedlich die drei Kantone auf die gesellschaftlichen Veränderungen reagierten und ihre kantonsspezifische Berufsbildungspolitik erarbeiteten. Die Hauptunterschiede lassen sich in fünf Bereiche gliedern: Rolle des Kantons (Staat); Rolle der Betriebe und der Berufsverbände; Rolle der Berufsfachschulen; Umfang der sozialpolitischen Massnahmen; Zweck der Berufsbildung.

Allgemein ist festzustellen, dass der Staat in den lateinischen Kantonen mehr Gewicht hat und schulische Ausbildungen, insbesondere Ausbildungen an Vollzeit-Berufsfachschulen oder an Mittelschulen, einen höheren Stellenwert geniessen. Anders im Kanton Zürich, wo sich der Kanton eher zurückhält und der Berufsfachschulunterricht der Ergänzung der praktischen Ausbildung im Rahmen der dualen beruflichen Grundbildung dient. Ausserdem verfolgen die lateinischen Kantone mit der Berufsbildung nicht ausschliesslich wirtschaftliche, sondern auch soziale Ziele, während sich im Kanton Zürich die Berufsausbildung stark an den Bedürfnissen der Betriebe orientiert und hauptsächlich wirtschaftlichen Zwecken dient. Diese Faktoren erklären, warum der Kanton Zürich immer mehr Lernende ausbildet, während schulische Bildungsgänge nur leicht zunehmen. Anders ist die Situation im Tessin und in Genf, wo eher die Anzahl der staatlich kontrollierten vollschulischen Ausbildungen steigt, während bei der dualen Ausbildung kein Anstieg zu erkennen ist.

Co-Projektverantwortlicher:

  • Prof. Dr. Philipp Gonon (Universität Zürich)

Wissenschaftlicher Ausschuss:

  • Eric Verdier (LEST, Aix en Provence)
  • Esther Berner (Universität Hamburg)
  • Gianni Ghisla (EHB, Lugano)
Publikationen
Transfer in die Praxis
Präsentationen