PEX-Handbuch – 2. Amt der Prüfungsexpertin / des Prüfungsexperten

Die Prüfungsexpertinnen und -experten werden offiziell durch die jeweils zuständige kantonale Behörde ernannt (Artikel 35 Absatz 1 BBV) und erhalten damit den Auftrag, im Namen der Verwaltung Prüfungen oder Teile von Prüfungen vorzubereiten und durchzuführen. Sie sind offizielle Vertreterinnen/Vertreter der kantonalen Verwaltung. Aus diesem Grund müssen auch Personen, die bereits in der beruflichen Grundbildung angestellt sind (z. B. Lehrpersonen an Berufsfachschulen oder Berufsbildnerinnen/Berufsbildner in überbetrieblichen Kursen), für dieses Amt explizit ernannt werden.

QV Beobachtungskriterienblatt der Medizinischen Assistenzberufe
EHB

2.1 Ernennung

Gesetzliche Grundlagen
Grundsätzlich können Berufsbildnerinnen/Berufsbildner in Lehrbetrieben oder überbetrieblichen Kursen und Lehrpersonen der berufskundlichen schulischen Grundbildung als Prüfungsexpertinnen/Prüfungsexperten ernannt werden. Die Mindestanforderungen an Berufsbildnerinnen/Berufsbildner sind im Berufsbildungsgesetz BBG Artikel 45 Absatz 2, in der Berufsbildungsverordnung BBV Artikel 44 und 45 und in der jeweiligen Verordnung über die berufliche Grundbildung geregelt.

 

Anforderungen

Prüfungsexpertinnen und -experten

  • verfügen über eine qualifizierte fachliche Bildung sowie über angemessene pädagogische und methodisch-didaktische Fähigkeiten;
     
  • verfügen im Minimum über ein eidgenössisches Fähigkeitszeugnis für den Berufsbereich, in dem sie prüfen, oder über eine gleichwertige Qualifikation;
     
  • bilden sich in Kursen weiter, die von der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung EHB in Zusammenarbeit mit den Kantonen und den Organisationen der Arbeitswelt angeboten werden.

Mit Vorteil bringen Prüfungsexpertinnen und -experten mehrere Jahre Erfahrung in der betrieblichen Bildung mit und weisen qualifizierende Weiterbildungen (wie z. B. eidgenössische Berufsprüfung oder eidgenössische höhere Fachprüfung) aus. 

Ernennungsbehörde
Die zuständige Ernennungsbehörde ist je nach Kanton verschieden. Die Ernennung erfolgt in der Regel auf Vorschlag der Chefexpertin/des Chefexperten des entsprechenden Berufs. Interessierte können sich auch direkt bei der kantonalen Behörde oder bei ihrer Organisation der Arbeitswelt melden. Die Ernennungsbehörde (Amt oder Prüfungskommission) bestätigt die Ernennung zur Prüfungsexpertin/zum Prüfungsexperten in der Regel schriftlich.

2.2 Mandat

2.2.1 Verfassungsrechtliche Prinzipien

Die Prüfungsexpertinnen und -experten sind offizielle Vertreterinnen/Vertreter der jeweiligen kantonalen Verwaltung. Qualifikationsverfahren sind Verwaltungsverfahren. Daraus folgt, dass sich die Prüfungsexpertinnen und -experten an die in der Bundesverfassung verankerten Prinzipien für das staatliche Handeln und die Grundrechte halten müssen.

Rechtmässiges Verwaltungshandeln
Nach Artikel 5 Absatz 1 BV muss Grundlage und Schranke staatlichen Handelns das Recht sein. Gleichzeitig gilt im Verwaltungsverfahren der Grundsatz, dass überall dort, wo das Gesetz keine konkrete Anweisung enthält, die Behörden nach pflichtgemässem Ermessen vorgehen und entscheiden. Die Bewertung von Prüfungsarbeiten und die Notengebung sind klassische Anwendungsfälle. In der jeweiligen Verordnung über die berufliche Grundbildung wird zwar der Stoff umschrieben, nicht aber auf die Bewertungskriterien und Bewertungsmassstäbe im Einzelnen eingegangen. Diese müssen aufgrund der beruflichen Anforderungen einerseits und der Erfahrungen des Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteams sowie der Chefexpertin/des Chefexperten andererseits zusätzlich definiert werden.

Massgebend für die Beurteilung ist zum Beispiel die fachgemässe, saubere, genaue, zweckmässige und vollständige Ausführung unter Berücksichtigung der einschlägigen Vorschriften der Unfallverhütung, des Ressourceneinsatzes, der Arbeitsmethodik, der Handfertigkeit und der Ordnung am Arbeitsplatz.

Pflichtgemässes Ermessen verlangt von Prüfungsexpertinnen und -experten, dass sie den Bewertungsmassstab möglichst nach sachlichen und fachgerechten Kriterien aufstellen und einheitlich anwenden. Ein solcher Kriterienraster bildet die Basis für die Beurteilung und Bewertung der Prüfungsarbeiten. Dabei ist zu beachten, dass die Bewertung (Punkte und/oder Noten) durch sachliche und fachgerechte Argumente nachvollziehbar zu begründen ist. Das Protokoll des Prüfungsverlaufs hält zu diesem Zweck fest, weshalb eine bestimmte Position so und nicht anders bewertet wurde.

Beispiele:

  • Die Prüfungszeiten der Verordnung über die berufliche Grundbildung sowie des Bildungsplans sind genau einzuhalten.
  • Wenn die praktischen Fähigkeiten zu überprüfen sind, dann darf nicht ausschliesslich Theorie abgefragt werden.
  • Das Prüfungsverfahren entspricht den Ausführungsbestimmungen zum Qualifikationsverfahren.
  • Gleiche Prüfungsdauer für alle Lernenden: Auf der Basis der Verordnung über die berufliche Grundbildung ist die Prüfungszeit massgebend, die im Bildungsplan für die einzelnen Prüfungsteile aufgeführt ist.

Verhältnismässiges Verwaltungshandeln
Nach Artikel 5 Absatz 2 BV muss staatliches Handeln verhältnismässig sein. Die Massnahme muss also ein geeignetes und notwendiges Mittel sein, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Ein staatlicher Eingriff darf damit nicht strenger ausfallen, als er zur Erreichung eines bestimmten Ziels notwendig ist:

  • Eingesetzte Mittel müssen in einem angemessenen Verhältnis zu dem stehen, was erreicht werden soll.
  • Bei Prüfungen ist das Prinzip der Verhältnismässigkeit insbesondere im Zusammenhang mit Disziplinarmassnahmen wichtig.

Das Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteam steht vor der Herausforderung, jeweils die den Vorfällen entsprechenden disziplinarischen Massnahmen zu ergreifen.

Willkürverbot

Nach Artikel 9 BV hat jede Person Anspruch darauf, von staatlichen Organen ohne Willkür und nach Treu und Glauben behandelt zu werden.

Beispiele:

  • Der Bewertungsschlüssel gilt für alle Kandidatinnen/Kandidaten und darf nicht im Einzelfall geändert werden.
  • Der Bewertung liegen ausschliesslich sachliche Motive aus Ergebnissen und Beobachtungen während der Prüfung zugrunde.
  • Das Prüfungsverfahren entspricht den vorgeschriebenen Prüfungsarbeiten und Prüfungspositionen.

Gleichbehandlungsgebot

Die BV garantiert in Artikel 29 Absatz 1 jeder Person in Verfahren vor Gerichts- und Verwaltungsinstanzen Anspruch auf gleiche und gerechte Behandlung sowie auf Beurteilung innert angemessener Frist.

Beispiel:

Anwenden eines einheitlichen Bewertungsmassstabs für vergleichbare Prüfungsarbeiten: Ein vor der Prüfung erstelltes und verbindliches Korrektur- und Bewertungsschema (Protokollblatt) für Prüfungsexpertinnen und -experten fördert die Gleichbehandlung.

2.2.2 Vorschriften auf Gesetzes- und Verordnungsstufe

Amtsgeheimnis und Schweigepflicht
Prüfungsexpertinnen und -experten erhalten von der Prüfungsbehörde den Auftrag, das Qualifikationsverfahren nach den vom SBFI erlassenen Verordnungen über die berufliche Grundbildung durchzuführen. Sie unterliegen somit den jeweiligen kantonalen Regeln zum Amtsgeheimnis und Schweigepflicht.

Eine Verletzung des Amtsgeheimnisses ist strafbar (Artikel 320 Strafgesetzbuch).

Prüfungsdaten gelten als Daten im Sinne des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1992 über den Datenschutz. Artikel 12 Absatz 1 und Absatz 2 Buchstabe c regelt:

«1 Wer Personendaten bearbeitet, darf dabei die Persönlichkeit der betroffenen Person nicht widerrechtlich verletzen.

2 Er darf insbesondere nicht:

  • (…)
  • c. ohne Rechtfertigungsgrund besonders schützenswerte Personendaten oder Persönlichkeitsprofile Dritten bekanntgeben.»

Prüfungsresultate dürfen weder an die Kandidatinnen/Kandidaten noch an Drittpersonen weitergeleitet werden. Sie werden den Betroffenen nach erfolgtem Qualifikationsverfahren durch Entscheid der kantonalen Prüfungsbehörde schriftlich mit Rechtsmittelbelehrung eröffnet.

Ausstandsbestimmungen
Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter der Verwaltung sowie Behördenmitglieder müssen sich bei ihrer Tätigkeit unter bestimmten Voraussetzungen in den Ausstand begeben.
Als Beispiel dient das Verwaltungsrechtspflegegesetz VRG vom 24. Mai 1959 des Kantons Zürich, Artikel 5a:

«1 Personen, die eine Anordnung zu treffen, dabei mitzuwirken oder sie vorzubereiten haben,
treten in den Ausstand, wenn sie in der Sache persönlich befangen erscheinen, insbesondere:

  • a. in der Sache ein persönliches Interesse haben;
  • b. mit einer Partei in gerader Linie oder in der Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt oder verschwägert oder durch Ehe, Verlobung oder Kindesannahme verbunden sind;
  • c. Vertreter einer Partei sind oder für eine Partei in der gleichen Sache tätig waren.

2 Ist der Ausstand streitig, so entscheidet darüber die Aufsichtsbehörde oder, wenn es sich um den Ausstand eines Mitgliedes einer Kollegialbehörde handelt, diese Behörde unter Ausschluss des betreffenden Mitgliedes.»

Der Personenkreis variiert je nach Kanton. Prüfungsexpertinnen und -experten melden solche kritischen Konstellationen wenn möglich bereits in der Planungsphase der Chefexpertin/dem Chefexperten.

Wird die Ausstandspflicht verletzt, kann die Nichtigkeit des betreffenden Verwaltungsakts jederzeit, also auch nach Ablauf einer Einsprachefrist, geltend gemacht werden.

Haftung
Die Prüfungsexpertinnen und -experten können nach Massgabe der jeweiligen kantonalen Rechtsgrundlagen zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie fahrlässig oder vorsätzlich ihre Pflichten verletzen. Andererseits haftet der Staat für Schäden, die durch ihre Tätigkeit Dritten oder ihnen selbst entstehen.

2.2.3 Weisungen der Prüfungsbehörde

Die Prüfungsexpertinnen und -experten sind verpflichtet, die Weisungen der jeweils zuständigen Prüfungsbehörde zu befolgen. Die Prüfungsbehörde ist je nach kantonaler Regelung eine Prüfungskommission oder die Prüfungsleitung des kantonalen Berufsbildungsamts oder einer Organisation der Arbeitswelt. Die Prüfungsbehörden sind nicht nur an das BBG und die kantonalen Berufsbildungsgesetze sowie die entsprechenden Vollzugsverordnungen gebunden. Die Qualifikationsverfahren sind auch in den einzelnen Verordnungen über die berufliche Grundbildung festgelegt (Artikel 19 Absatz 2 Buchstabe e BBG). In Abschnitt 8, Qualifikationsverfahren, der jeweiligen Verordnung werden die entsprechenden Qualifikationsbereiche definiert.

Die Prüfungsexpertinnen und -experten dürfen für ihre Tätigkeit an den Prüfungen allerdings weder Weisungen einer Organisation der Arbeitswelt oder einer Schulinstanz entgegennehmen noch sind sie ihnen Rechenschaft schuldig.

2.3 Einführung und Schulung


In Zusammenarbeit mit den kantonalen Behörden sowie den Organisationen der Arbeitswelt entwickelt die Eidgenössische Hochschule für Berufsbildung EHB bedarfsorientierte Kursangebote.

 

Kursangebote EHB ehb.swiss/pex