PEX-Handbuch – 4. Qualifikationsverfahren

Ausbildnerin zeigt Lernende etwas in einem Glas
EHB

4.1 Überblick und Grundsätze

4.1.1 Qualifikationsverfahren im Entwicklungsprozess

Die Berufsbildung steht in einem kontinuierlichen Wandlungsprozess. Neuerungen in der Ausbildung ziehen zwangsläufig auch Veränderungen im Qualifizieren und Beurteilen nach sich.

Das Berufsbildungsgesetz BBG legt in Artikel 34 Absatz 2 fest, dass die Zulassung zu Qualifikationsverfahren nicht vom Besuch bestimmter Bildungsgänge abhängig ist. Wenn die beruflichen Qualifikationen ausserhalb eines formalen Bildungsgangs wie z. B. einer beruflichen Grundbildung erworben wurden, setzt die Zulassung zum Qualifikationsverfahren eine fünfjährige berufliche Erfahrung voraus.

Neben den bis jetzt bekannten Gesamtprüfungen am Ende eines Bildungsgangs oder einer Verbindung von Teilprüfungen können auch andere Qualifikationsverfahren anerkannt werden. Wie ein solches neues Verfahren aussehen kann, wird in Kapitel 4.5 (Andere Qualifikationsverfahren) beschrieben.

Für Qualifikationsverfahren gelten gemäss Berufsbildungsverordnung BBV (Artikel 30) folgende Anforderungen:

  • Sie richten sich an den Qualifikationszielen der massgebenden Bildungserlasse aus,
  • Sie bewerten und gewichten die mündlichen, schriftlichen und praktischen Teile ausgewogen im Hinblick auf die Besonderheiten des entsprechenden Qualifikationsfeldes,
  • Sie berücksichtigen die Erfahrungsnoten aus Schule und Praxis und
  • Sie verwenden adäquate und zielgruppengerechte Verfahren zur Feststellung der zu beurteilenden Qualifikationen.

4.1.2 Prüfen von Handlungskompetenz

Neue Bildungsverordnungen und Bildungspläne stellen die Handlungsorientierung in den Vordergrund: Lernende arbeiten in Gruppen, bearbeiten einen Prozess oder ein Projekt und wählen das Modell selbst aus, um ans Ziel zu gelangen. Lehrpersonen begleiten und unterstützen, sie übernehmen die Rolle eines Lerncoachs. In die Beurteilung solcher Prozesse fallen auch Bereiche wie Arbeitsplanung, Informationsbeschaffung und Präsentation des Prozesses.

Berufliche Handlungskompetenz
Ziel der beruflichen Grundbildung ist die Aneignung von beruflichen Handlungskompetenzen. Diese lassen sich nur erschliessen, wenn sie im Berufsalltag sichtbar gemacht werden. Jegliches Handeln vollzieht sich in konkreten Situationen und unter gewissen Bedingungen. Erfolgreiches Bewältigen von Situationen ist dann möglich, wenn einerseits das Individuum über die dazu notwendigen Kenntnisse, Fähigkeiten/Fertigkeiten und Haltungen oder aber die Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen verfügt und diese andererseits im beruflichen Alltag korrekt abrufen und einsetzen kann.

Ziel des Qualifikationsverfahrens in der beruflichen Grundbildung ist es, eine qualifizierte Aussage über die beruflichen Handlungskompetenzen der Kandidatin/des Kandidaten zu machen. Mit qualifizierter Aussage ist gemeint, dass beurteilt werden kann, ob das Niveau des Fähigkeitszeugnisses (EFZ) oder des Berufsattests (EBA) kriteriengestützt und nachvollziehbar erreicht ist.
Wer den Ausweis erhält ist berechtigt, den entsprechenden Titel zu tragen. Die Berufsleute stellen im Qualifikationsverfahren ihre Arbeitsmarkt- und Berufsfähigkeit unter Beweis. Dies schliesst auch die Fähigkeit und den Zugang zur Weiterbildung mit ein.

Hinsichtlich des handlungskompetenzorientierten Prüfens ergeben sich daraus die folgenden Fragenstellungen:

  • Welches sind die jeweils typischen und relevanten Berufssituationen, die eine Kandidatin/ein Kandidat erfolgreich bewältigen soll?
  • Welche Prüfungsformen und welche Aufgabenstellungen eignen sich zu deren Überprüfung?
  • Was bedeutet «erfolgreich»?
  • Wer definiert die entsprechende Norm? Wo ist diese festgehalten? Für wen ist sie (wann) erreicht?
  • Wer kann das Bewältigen von Situationen aussagekräftig beurteilen?
  • Welche Mittel und Instrumente braucht sie/er dazu?

Die beruflichen Handlungskompetenzen, die von ausgebildeten Berufsleuten erwartet werden, sind im Bildungsplan in Form von Bildungszielen beschrieben. Ausgangspunkt für die Arbeit am Bildungsplan sind das Tätigkeitsprofil und das Qualifikationsprofil. Dem Bildungsplan muss ein pädagogisch-didaktisches Modell zugrunde liegen. Dieses stellt sicher, dass der Bildungsplan den Qualitätsansprüchen wie Verständlichkeit, Verbindlichkeit und Konsistenz genügt.

Im Folgenden werden das Triplex-Modell, das Kompetenzen-Ressourcen-Modell und das Handlungskompetenzen-Modell vorgestellt. Das Modell bestimmt, wie die beruflichen Handlungskompetenzen im Bildungsplan beschrieben und nach Themenbereichen geordnet werden.

Bildungsplan nach dem Triplex-Modell
Nach diesem Modell werden Bildungsziele auf drei Ebenen formuliert: Leitziele, Richtziele und Leistungsziele.

Bildungsplan nach dem Triplex-Modell
Abbildung 6: Bildungsplan nach dem Triplex-Modell
EHB

Fachkompetenzen werden auf allen drei Zielebenen beschrieben. Sozial-, Methoden- und Selbstkompetenzen werden allgemein umschrieben und können unterschiedlichen Ebenen zugeordnet werden.


Leitziele

  • schaffen einen allgemeinen Bezugsrahmen;
  • grenzen Kompetenzbereiche der Ausbildung ab;
  • liefern Begründungen für die Auswahl des vermittelten Stoffs.

Das Grundmuster präsentiert sich wie folgt:
Zuerst wird ein Idealzustand, eine Aussage über den Beruf oder eine Norm beschrieben. Möglich ist auch das Aufstellen einer Behauptung. Danach werden mögliche Konsequenzen für Bildungsmassnahmen abgeleitet.

Beispiel:

  • Gesundheit und Unfallfreiheit liegen im Interesse von Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden, weil sie unter anderem Lebensqualität, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit fördern. Zudem helfen sie, Kosten für die betroffenen Personen, das Unternehmen und die Gesellschaft zu vermeiden.
  • Deshalb sollen die Lernenden mit den wesentlichen Risiken ihres Arbeitsumfelds und der Freizeit vertraut gemacht und in der aktiven Gesundheitspflege und Unfallverhütung geschult werden.


Richtziele

  • gehen von bestimmten Handlungssituationen aus, die zum Gegenstand des Leitziels gehören;
  • beschreiben ein Verhalten, welches die Lernenden in der Situation zeigen sollen.

Merkmale von Richtzielen sind:
a) Aussagen über bestimmte Verhaltensweisen;
b) Reaktionsformen, die von Lernenden in einer Situation erwartet werden;
c) Beschreibung von Einstellungen, Haltungen oder übergeordneten Eigenschaften

Ein Richtziel weist jeweils nur eines oder zwei dieser Merkmale auf.

Beispiel:

  • Lernende sind motiviert, beim Verrichten von risikoreichen Tätigkeiten geeignete Sicherheitsmassnahmen umzusetzen.


Leistungsziele

  • konkretisieren Richtziele;
  • beschreiben beobachtbares Verhalten;
  • enthalten vier Angaben:
    1. Eindeutiger Gegenstand: Ein Thema, auf das sich das Ziel bezieht;
    2. Beobachtbares Endverhalten: Mit einem Verb beschriebenes sichtbares Verhalten, das die Lernenden am Ende der Berufslehre in dieser Situation zeigen sollen;
    3. Hilfsmittel: Unterstützende Voraussetzungen; Mittel, die den Lernenden in der Handlungssituation oder an der Prüfung zur Verfügung stehen;
    4. Beurteilungsmassstab: qualitative oder quantitative Beschreibung einer guten Leistung.

Beispiel:
Die Lernenden beschreiben mit eigenen Worten, wann und weshalb die fünf wichtigsten Gegenstände der persönlichen Schutzausrüstung (Schutzbrille, Sicherheitsschuhe, Handschuhe, Schutzhelm und Gehörschutz) verwendet werden müssen.

  • Gegenstand: Persönliche Schutzausrüstung verwenden;
  • Beobachtbares Endverhalten: beschreiben;
  • Hilfsmittel: in eigenen Worten;
  • Massstab: fünf Gegenstände, wann und weshalb.

Die Beispiele sollen Folgendes verdeutlichen:

  • Leistungsziele auf der Stufe K1 (Wissen) eignen sich nur sehr beschränkt, um praxisrelevantes Endverhalten von Lernenden zu beschreiben. Diese Komplexitätsstufe ist meistens zu niedrig.
  • Leistungsziele auf höheren Komplexitätsstufen setzen mindestens teilweise Fähigkeiten und Wissen auf niedrigeren Komplexitätsstufen voraus. Um zum Beispiel geeignete Gegenstände der persönlichen Schutzausrüstung einsetzen zu können, müssen die Lernenden diese auch kennen.
  • Nicht jede Berufsausbildung erfordert Leistungsziele der höheren Komplexitätsstufen. Ein Bildungsplan über die berufliche Grundbildung kann daher auch nur Leistungsziele enthalten, die als höchste Komplexitätsstufe K4 aufweisen.

Bildungsplan nach dem Kompetenzen-Ressourcen-Modell

Bildungsplan nach dem Kompetenzen-Ressourcen-Modell
Abbildung 7: Bildungsplan nach dem Kompetenzen-Ressourcen-Modell
EHB

Kompetenzen
Jede zu erwerbende berufliche Handlungskompetenz wird in diesem Modell durch eine oder mehrere Handlungssituationen beschrieben. Für die Bewältigung der Handlungssituationen sind Ressourcen erforderlich. Die Liste der Handlungssituationen geht aus der Tätigkeitsanalyse hervor.

Für die Beschreibung der Handlungssituationen ist eine einheitliche Struktur zu wählen. Die Struktur kann je nach Beruf unterschiedliche Parameter enthalten wie zum Beispiel eindeutige Bezeichnung der Handlungssituation, beteiligte Personen, Normen oder Schilderung der auszuführenden Tätigkeiten.

Handlungssituationen können zu einer Handlungssituationsklasse gruppiert werden, wenn die Bewältigung der Handlungssituation grösstenteils ähnliche Ressourcen erfordert.

Abschluss der Verkaufshandlung
Abbildung 8: Abschluss der Verkaufshandlung
EHB

Erläuterungen:

  • Tätigkeit: Diese wird in Form einer beobachtbaren Handlung beschrieben.
  • Normen: Bestimmungen, die bei der Tätigkeitsverrichtung beachtet werden müssen.


Ressourcen
Für jede Handlungssituation werden die zu ihrer Bewältigung erforderlichen Ressourcen aufgeführt.

Ressourcen werden als Kenntnisse, Fähigkeiten und Haltungen beschrieben. Die Beschreibung der Ressourcen erfolgt direkt bei der jeweiligen Handlungssituation oder, wenn sinnvoll, in einem ergänzenden Verzeichnis.

  • Als Kenntnisse werden alle wissensbezogenen Elemente bezeichnet, die zur Bewältigung der entsprechenden Handlungssituationen wichtig sind. Dazu gehören Theorien, Begriffe und Regeln, aber auch einzelne Daten und Eckwerte.
  • Fähigkeiten sind eingeübte Abläufe, Prozeduren und Fertigkeiten, welche bei der Bewältigung der entsprechenden Handlungssituationen eingesetzt werden können.
  • Handlungen bezeichnen Einstellungen, Werte und Normen, die das Verhalten in den entsprechenden Handlungssituationen prägen.
Ressourcen für die Situation «Abschluss der Verkaufshandlung»
Abbildung 9: Ressourcen für die Situation «Abschluss der Verkaufshandlung»
EHB

Erläuterungen:

  • Alle Lernorte tragen zur Aneignung der Ressourcen bei, auch wenn im Beispiel der Betrieb die Hauptverantwortung trägt.
  • Die Haltungen haben übergreifenden Charakter. Sie werden deshalb an allen Lernorten berücksichtigt.
  • Eine Ressource kann in unterschiedlichen Situationen gefragt sein. Daher kann sie auch mehrmals aufgelistet werden.


Bildungsplan nach dem Handlungskompetenzen-Modell

Bildungsplan nach dem Handlungskompetenzen-Modell
Abbildung 10: Bildungsplan nach dem Handlungskompetenzen-Modell
EHB

Weiterentwicklung des Triplex-Modelles
Das Handlungskompetenzen-Modell stellt eine Weiterentwicklung des Triplex-Modelles dar. Es beinhaltet die Ebenen Handlungskompetenzbereiche, Handlungskompetenzen und Leistungsziele nach Lernort.

Handlungskompetenzbereiche
Die Handlungskompetenzbereiche fassen berufliche Handlungskompetenzen zusammen. Handlungskompetenzen im gleichen Handlungskompetenzbereich sind im Hinblick auf eine Eigenschaft vergleichbar. Sie bezeichnen ähnliche Handlungen, ähnliche Kundinnen und Kunden, ähnliche Produkte, ähnliche Hilfsmittel oder einzelne Sequenzen eines betrieblichen Ablaufes.

Handlungskompetenzen
Die Handlungskompetenzen definieren das beobachtbare Verhalten, das von Berufspersonen erwartet wird. Sie beinhalten die Dimensionen der Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen. Die Beschreibung einer Handlungskompetenz beinhaltet deren Gegenstand, den Kontext, in dem sie stattfindet, das Anforderungsniveau und das Verb.

Leistungsziele
Die Leistungsziele werden für die drei Lernorte formuliert.

Berufliche Handlungskompetenz
Berufliche Handlungskompetenz zeigt sich in der Fähigkeit, die für den jeweiligen Beruf relevanten Handlungssituationen kompetent zu meistern.

4.1.3 Anforderungen an Prüfungen

Qualifikationsverfahren sind für die zukünftigen Berufsleute eine wichtige Station in ihrem Leben und dienen als Standortbestimmung für die erworbenen beruflichen Kompetenzen. Kandidatinnen/Kandidaten haben Anrecht auf eine sorgfältige Vorbereitung, ein professionelles Verfahren und eine respektvolle Begegnung mit den Prüfungsexpertinnen und -experten.

Ausbildungsalltag und Prüfungssituation unterscheiden sich wesentlich.

  • Im Bildungsplan sind die Mindestanforderungen definiert. In der Ausbildung in Betrieb und Berufsfachschule darf über sie hinausgegangen werden, sofern es die zur Verfügung stehende Zeit und die Aufnahmefähigkeit der Lernenden erlauben.
  • Die Prüfungsvorschriften sind Maximalanforderungen. An den Qualifikationsverfahren darf nicht mehr verlangt werden als das, was als Prüfstoff in der Verordnung über die berufliche Grundbildung sowie im entsprechenden  Bildungsplan vorgegeben ist.

Qualitätskriterien guter Prüfungen
Die Qualität von Prüfungen wird durch verschiedene Kriterien definiert. Nachfolgend wird aufgezeigt, um welche Kriterien es sich handelt und wie diese gestaltet werden sollen.

Gültigkeit
Es ist darauf zu achten, dass die Umsetzung der Prüfung den Ausführungsbestimmungen zum Qualifikationsverfahren (Bildungsverordnung, Bildungsplan, Wegleitung zum Qualifikationsverfahren) entspricht. Diese formale Gültigkeit ist unabdingbar für gültige Prüfungen. Im Weiteren müssen die Prüfungsanforderungen (Prüfungsformen und -aufgaben) ermöglichen, die geforderten Kompetenzen des Berufes sichtbar zu machen. Das geprüfte Wissen und die geprüften Fähigkeiten müssen repräsentativ dafür sein, was die Lernenden gemäss den beschriebenen Kompetenzen und Leistungszielen beherrschen sollen. Das bedeutet sowohl eine angemessene Streuung von Prüfungsaufgaben über die relevanten Themen als auch über verschiedene Anspruchsniveaus.

Zuverlässigkeit
Prüfungen sollen das, was sie erfassen sollen, fehlerfrei erfassen. Das heisst, es sollen keine Messfehler auftreten, die das Prüfungsergebnis und letztlich dessen Bewertung verfälschen. Dies wird mittels einer möglichst hohen Objektivität angestrebt. Für alle Kandidatinnen/Kandidaten werden bei der Durchführung, Auswertung und Interpretation gleichartige Bedingungen angestrebt. Um dies sicherzustellen, werden die verschiedenen Prüfungsprozesse  (Beobachten, Beurteilen, Bewerten) standardisiert und die Prüfungsexpertinnen und -experten durch die Eidgenössische Hochschule für Berufsbildung EHB geschult.

Chancengerechtigkeit oder Fairness
Eine Prüfung soll das erfassen, was die Lernenden an Lernmöglichkeiten hatten. Sie soll sich in Form und Inhalt an jenen Lernbedingungen orientieren, die für alle Kandidatinnen/Kandidaten während der Ausbildung gleichwertig waren. Dazu werden schulische bzw. betriebliche Lernbedingungen (Lehr- und Arbeitsmittel, Lehrpersonen, Berufsbildungsverantwortliche usw.) gezählt. Die Kandidatinnen/Kandidaten werden über die Anforderungen der Prüfung informiert. Alle notwendigen Angaben (inkl. erlaubte Hilfsmittel) sind vollständig und transparent dargestellt. Die Prüfungsexpertinnen und -experten klären zu Beginn aller Prüfungen ab, ob die gesprochene Sprache (Mundart oder Standartsprache) von den Kandidatinnen/Kandidaten verstanden wird und passen sich auf Wunsch an.

Ökonomische und organisatorische Gestaltung
Der Zeitaufwand und Materialverbrauch für die Durchführung und Auswertung einer Prüfung soll sich in vernünftigen Grenzen halten. Das Prüfungsergebnis wird mit einem vertretbaren oder gar möglichst geringen Aufwand in Bezug auf die Konstruktion, die Durchführung und die Auswertung ermittelt. Die Prüfung ist sorgfältig vorbereitet. Es liegen ausgearbeitete Checklisten, Wegleitungen etc. vor. Die Zeitplanung ist realistisch und ermöglicht ein flexibles Reagieren bei Störungen (z. B. verspätete Ankunft einer Kandidatin/eines Kandidaten). Die Einrichtung der Räume und die Sitzordnung bei der mündlichen und schriftlichen Prüfung tragen zum fairen Prüfungsablauf und zum Wohlbefinden der  Beteiligten bei (Blickkontakt zu beiden Prüfungsexpertinnen/Prüfungsexperten sowie zur Tür; Vermeiden von Störungen). Es ist geregelt,wie die Prüfungsergebnisse rasch und vollständig an die richtige Stelle weitergeleitet werden.

Qualitätssicherung
Es liegt ein Evaluationskonzept zur Sicherung und Entwicklung der Qualität der Prüfung vor. Die Aufgaben der mit der Evaluation und Qualitätssicherung beauftragten Personen (Chefexpertinnen/Chefexperten, Mitglieder von Prüfungskommissionen) sind klar und konkret geregelt. Der Auswertungsprozess der Daten ist definiert und liegt schriftlich vor.

Verhalten der Prüfungsexpertinnen und -experten
Von Prüfungsexpertinnen und -experten wird erwartet, dass sie ihrem Gegenüber – die Kandidatin/der Kandidat – die Möglichkeit geben, die erworbenen Kompetenzen zeigen zu können und ihnen mit Respekt begegnen, eine angenehme Prüfungsatmosphäre schaffen, zuhören und die zu Prüfenden in ein konstruktives Gespräch einbinden, in hektischen Situationen Ruhe bewahren, korrekt und gerecht beurteilen.
Prüfungsexpertinnen und -experten sind Berufsfachleute und kennen sowohl die in der Verordnung über die berufliche Grundbildung definierten, wie auch die aktuell in ihrem Beruf verlangten Anforderungen. Daneben beherrschen sie die Methoden für Aufgabenstellung, Prüfungsgespräche und Beurteilung von Qualifikationsverfahren.

Beurteilen und Bewerten
Die Beurteilung der Leistung wird der Kandidatin/dem Kandidaten dann gerecht, wenn sie objektiv und konstruktiv erfolgt.

Objektiv: Die Wertmassstäbe werden aufgrund einer nüchternen sachlichen Betrachtungsweise gewonnen und basierend auf den jeweiligen Vorgaben festgelegt.
Konstruktiv: Der Blick für Lösungswege und für das Verhalten wird der ganzen Persönlichkeit gerecht und rundet die Objektivität ab. Die Beurteilungs- und Bewertungseinstellung ist nicht nur auf Leistung ausgerichtet, sondern auch auf  den dahinter stehenden Menschen.

Klassische Beurteilungsfehler
Abbildung 11: Klassische Beurteilungsfehler
EHB

Neugier oder Vorurteil
Niemand ist gegen Vorurteile gefeit. Die Herkunft, die bisherigen Erfahrungen, das Umfeld der Prüfungsexpertinnen und -experten prägen ihren Charakter und ihre Identität. Die Kandidatinnen/Kandidaten bringen andererseits ihren Charakter und ihre Prägung mit an die Prüfung. Es ist wichtig, sich bewusst zu sein, dass Herkunft, Familie, Geschlecht und soziales Umfeld den Charakter und das Verhalten der Kandidatinnen/Kandidaten prägen. Es gilt also, Wertvorstellungen möglichst fallen zu lassen und sich auf die Prüfungsaufgabe zu konzentrieren.

Hierarchie und Kommunikation
Prüfungsexpertinnen und -experten stehen zu den Kandidatinnen/Kandidaten in einem klaren hierarchischen Verhältnis. Sie geben Aufgaben und Rahmen vor, sie haben einen Wissensvorsprung und sie beurteilen. Ganz klar, dass sie die Führung des Verfahrens übernehmen und während der ganzen Dauer nicht abgeben. Anordnungen und nötige Interventionen müssen
klar verständlich und eindeutig erfolgen.
Zur Führung gehört aber auch eine umfassende Information der Kandidatinnen/Kandidaten. Das Wissen um Abläufe, Örtlichkeiten, Zeiten, Bewertungskriterien usw. gibt Sicherheit und die Gewähr, dass sich die Kandidatinnen/Kandidaten auf die bevorstehende Lösung der Prüfungsaufgaben konzentrieren.

Was sind eigentlich (keine) Mängel?
Von Mängeln sprechen wir, wenn Verhaltensweisen oder Tätigkeiten beobachtet werden, welche die qualitativen und quantitativen Ansprüche an ein Kriterium klar nicht erfüllen. Massgebend sind dabei die Leistungsziele der Ausbildung und die Anforderungen der Praxis, aber auch die sogenannten Standesregeln, die ungeschriebenen Gesetze eines Berufs.
Keine Mängel sind:

  • Tätigkeiten werden weniger geschickt ausgeführt als die Prüfungsexpertinnen und -experten es könnten.
    Dennoch: Es handelt sich um eine Abschlussprüfung der beruflichen Grundbildung!
  • Das gewählte Vorgehen ist etwas anders, als Prüfungsexpertinnen und -experten es machen würden.
    Dennoch: Die Praxis kennt viele gute Wege!
  • Die «Lösungswege» unterscheiden sich leicht von den Vorgaben der Fachliteratur.
    Dennoch: Die Prüfungsexpertinnen und -experten prüfen nicht das Lehrbuchwissen.
  • «Mangelnde Fantasie», «einfach», «mangelnde Kreativität» beim Kriterium «fachgerechtes und sauberes Arbeiten».
    Dennoch: Der ganze «Auftritt» zählt.

Fazit: Die Prüfungsexpertinnen und -experten suchen die Mängel nicht, sondern sie fallen im Rahmen des sorgfältigen Beobachtens auf.

4.1.4 Qualifikationsbereiche

Grundsätzlich wird bei den Prüfungsfächern zwischen drei Bereichen unterschieden: Betriebliche Praxis, berufskundliche und allgemeine schulische Bildung. Gewichtung und Aufteilung der drei Bereiche variieren von Beruf zu Beruf. Die Bildungsverordnungen legen für jeden einzelnen Beruf die Qualifikationsbereiche, die Prüfungsgliederung und die Gewichtung der einzelnen Positionen fest. Die folgende Prüfungsgliederung gilt für die gewerblich-industriellen Berufe.

Qualifikationsverfahren
Abbildung 12: Qualifikationsverfahren
EHB

Jeder Qualifikationsbereich hat seine besonderen Merkmale und beeinflusst so die Durchführung und die Beurteilung der Ergebnisse. Die Qualifikationsbereiche sind in der jeweiligen Verordnung über die berufliche Grundbildung geregelt.

4.1.5 Prüfungsinhalte

Arbeitsaufträge und Aufgaben für einen bestimmten Qualifikationsbereich müssen insgesamt repräsentativ sein, das heisst den Absichten der Verordnung über die berufliche Grundbildung sowie dem Bildungsplan bezüglich Inhalt und Schwierigkeitsgrad entsprechen. Sie sollen auf aktuelle Weise, das heisst gemäss aktuellen und typischen Berufssituationen, die verschiedenen Lernziele abdecken und gewichten. Es ist nicht das Ziel von Prüfungen, alle Leistungsziele eines Bildungsplans systematisch zu prüfen. Auch ist darauf zu achten, dass die gleichen Lernziele nicht mehrmals überprüft werden.
Prüfungsarbeiten im Bereich beruflicher Praxis zum Beispiel finden unter praxisnahen Bedingungen statt, wenn

  • vertraute Maschinen und Instrumente verwendet werden,
  • persönliche Hilfsmittel (Tabellen, Skizzenbuch, Rezeptbuch, Prozessbeschreibungen) zugelassen sind,
  • der Zeitdruck demjenigen im betrieblichen Alltag entspricht,
  • die individuelle Arbeitsweise (Vorbereitung, Vorgehen, Nachbearbeitung) bei der Beurteilung berücksichtigt wird.

Der aktuelle Stand der Berufspraxis darf sich in den Prüfungsvorgaben widerspiegeln. Technische Neuerungen, die weitgehend Fuss gefasst haben, sollen wenn möglich berücksichtigt werden. Die Aktualisierung der Prüfungsaufgaben durch die Chefexpertin/den Chefexperten oder das Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteam muss für alle Kandidatinnen/Kandidaten gelten. Die Änderungen müssen einem der Qualifikationsbereiche in der Verordnung über die berufliche Grundbildung zugeordnet werden können.

4.1.6 Prozessorientierte Prüfungen

Bei prozessorientierten Prüfungen wird nicht nur das Produkt, sondern auch der Prozess beurteilt. Die Beurteilung des Produkts erfolgt in der Regel mit Hilfe eines Kriterienbogens, die Beurteilung des Prozesses in Form eines Gesprächs, das sich auf die Beobachtungen der Lehrpersonen oder der Prüfungsexpertin/des Prüfungsexperten über das Arbeits- und Lernverhalten in der Umsetzungsphase stützt. Es können Einträge aus dem Arbeitsjournal oder der Lern- und Leistungsdokumentation thematisiert werden.

Prozessorientierte Prüfungen
Abbildung 13: Prozessorientierte Prüfungen
EHB

Beurteilungskriterien
Für diese Art von Beurteilung ist es zentral, vorgängig genaue Kriterien und Indikatoren zu definieren und diese den Lernenden oder den Kandidatinnen/Kandidaten bekannt zu geben. Wenige, dafür aber klare und verständliche Beurteilungskriterien garantieren einen reibungslosen Ablauf des Verfahrens und eine objektive Beurteilung. Während der Ausbildung wird das Verfahren besprochen. Je nach Thema und Zielsetzung liegt der Schwerpunkt einmal bei der Methodenkompetenz, beim nächsten Mal bei Elementen der Sozialkompetenz. Mit dieser Fokusbildung können Schwerpunkte gesetzt werden. 

Arbeitsjournal
Arbeitsjournale kommen vor allem in der individuellen praktischen Arbeit (IPA) und der Vertiefungsarbeit (VA) zum Einsatz. Die Lernenden halten im Arbeitsjournal Planungsschritte und persönliche Erkenntnisse zum Vorgehen fest. Während der Umsetzung führt die Lehrperson oder die Prüfungsexpertin/der Prüfungsexperte mit den Kandidatinnen/Kandidaten mehrere Gespräche und hält die Erkenntnisse und Beobachtungen stichwortartig im Kriterienbogen fest. Das Führen des Arbeitsjournals kann auch in die Bewertung der Arbeiten insgesamt und somit in die Notengebung einfliessen. 

Lern- und Leistungsdokumentation
Die Lern- und Leistungsdokumentation ist ein zentrales Instrument zur Förderung der betrieblichen Bildung für die Lernenden und die verantwortliche Berufsbildnerin/den verantwortlichen Berufsbildner. Die Lernenden halten in der Lern- und Leistungsdokumentation alle wesentlichen Arbeiten, die erworbenen Fähigkeiten und gemachte Erfahrungen im Betrieb sowie in überbetrieblichen Kursen fest.
Die meisten Verordnungen über die berufliche Grundbildung schreiben das Führen einer Lern- und Leistungsdokumentation vor. Deshalb muss den Lernenden dafür während der Arbeitszeit genügend Zeit eingeräumt werden. Die Berufsbildnerin/der Berufsbildner kontrolliert und unterzeichnet die Lern- und Leistungsdokumentation periodisch.

Die Lerndokumentation und ihre Bedeutung für die Prüfung
Die Eidgenössische Hochschule für Berufsbildung EHB hat Standards zur Lerndokumentation entwickelt.

Die Lerndokumentation ist ein Hilfsmittel für die praktische Prüfung
Die meisten Berufe kennen die Regelung, dass die Lerndokumentation bei der praktischen Prüfung verwendet werden kann. Die Lerndokumentation dient den Lernenden somit für die Vorbereitung der praktischen Prüfung; während der praktischen Prüfung kann sie als Nachschlagewerk verwendet werden. In anderen Berufen wird eine mündliche Prüfung auf der Basis der Lerndokumentation in Form eines Fachgesprächs geführt. Die Prüfungsexpertinnen und -experten bereiten dieses Gespräch anhand der Einträge in der Lerndokumentation vor. Die Lerndokumentation selber darf von den Prüfungsexpertinnen und -experten nicht bewertet werden. Damit trägt die Lern- und  Leistungsdokumentation massgeblich zur guten Qualität einer Prüfung bei.

  • a) Die Lerndokumentation ist ein betriebliches Ausbildungsinstrument, das die Brücke zu den anderen Lernorten schlägt.
  • b) Die Lerndokumentation ist konsequent auf die Beschreibung und Reflexion beruflicher Handlungssituationen ausgerichtet.
  • c) Die Lerndokumentation macht die Lernfortschritte der Lernenden sichtbar.
  • d) Die Lerndokumentation unterstützt die Lernenden, sich in den Ausbildungsanforderungen des Berufs zurechtzufinden und ihren Leistungsstand einzuschätzen.
  • e) Die Lerndokumentation ist ein Nachweisinstrument für die erbrachte Leistung und kann als Referenz im Rahmen von beruflichen Neuorientierungen eingesetzt werden.

Verschiedene Organisationen der Arbeitswelt geben ein branchenbezogenes Produkt (Leitfaden,Ordner, usw.) heraus, das in der Regel bei der Organisation selber, in der Berufsfachschule oder in den überbetrieblichen Kursen bezogen werden kann.

4.1.7 Erfahrungsnoten

In den Qualifikationsverfahren werden neben den Erfahrungsnoten des berufskundlichen Unterrichts, je nach Beruf, die Erfahrungsnoten aus den überbetrieblichen Kursen und/oder die Erfahrungsnoten aus dem Lehrbetrieb berücksichtigt. Die Einzelheiten sind in der jeweiligen Verordnung über die berufliche Grundbildung geregelt. Verantwortlich für die Generierung der Erfahrungsnoten und Übermittlung an die kantonale Prüfungsleitung sind die Bildungsanbieter. Die Übermittlung erfolgt gemäss den Weisungen der Prüfungsbehörde. Für einzelne Berufe stehen Web-Lösungen zur Verfügung.

4.2 Betriebliche Praxis

4.2.1 Vorgegebene praktische Arbeit (VPA)

Einführung
In der beruflichen Grundbildung muss die angehende Fachfrau/der angehende Fachmann neben den unerlässlichen theoretischen Grundlagen auch praktisches Geschick und berufsspezifische Fertigkeiten erwerben. Um die praktische Geschicklichkeit, den Umgang mit Instrumenten und Werkzeugen sowie Arbeitsroutine, Sicherheit in Arbeitsprozessen und den kompetenten Umgang mit Kundinnen/Kunden unter Beweis zu stellen, eignet sich die vorgegebene Prüfungsarbeit mit Aufgaben aus der Berufspraxis. An konkreten Beispielen und mit den vertrauten Arbeitshilfsmitteln können die wichtigsten beruflichen Tätigkeiten überprüft werden. Sie erlauben eine Simulation des beruflichen Alltags und geben damit Hinweise, ob die Kandidatin/der Kandidat die nötigen Anforderungen aus der betrieblichen Praxis erfüllt.

Verantwortung der Prüfungsexpertinnen und -experten
Die Bildungsverordnungen umschreiben den Prüfungsstoff für die praktischen Arbeiten relativ allgemein. Die Chefexpertin/der Chefexperte und das Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteam erhalten somit vermehrt Verantwortung auch für die Inhalte der praktischen Prüfung. Die definierten Aufgaben und Arbeitsproben sollen bezüglich der eingesetzten Mittel, der angewendeten Techniken und Bearbeitungsmethoden sowie des Zeiteinsatzes dem allgemein anerkannten Berufsstandard entsprechen und sich an den Leistungszielen der Verordnung über die berufliche Grundbildung orientieren. Besondere Spezialisierungen einzelner Prüfungsexpertinnen und -experten dürfen im Qualifikationsverfahren nicht zum Tragen kommen.

Anpassungen an die berufliche Entwicklung
Eine gesamtschweizerische Koordination im jeweiligen Beruf stellt sicher, dass die Anforderungen an die Ausbildung aktuell bleiben. Im Qualifikationsverfahren dürfen auch Arbeiten vorgegeben werden, die einer beruflichen Weiterentwicklung aus der Praxis gerecht werden, ohne dass entsprechende Änderungen in der Verordnung über die berufliche Grundbildung vorliegen. Die Aufgaben müssen aber immer einem der Qualifikationsbereiche in der Verordnung über die berufliche Grundbildung zugeordnet werden können.

4.2.2 Individuelle praktische Arbeit (IPA)

Einführung
Die individuelle praktische Arbeit (IPA) ist ein Teil der Abschlussprüfung, welche die betrieblichen Eigenheiten innerhalb eines Berufs oder eines Berufsfeldes mitberücksichtigt. Innerhalb der IPA wird an konkreten Arbeiten, Projekten und Prozessen gearbeitet. Damit kann die Handlungskompetenz praxisnah überprüft werden.
Der Entscheid, in welchen Berufen eine IPA durchgeführt wird, liegt bei der jeweiligen Organisation der Arbeitswelt OdA und wird in der Verordnung über die berufliche Grundbildung festgehalten. Grundlage für die IPA bildet die «Wegleitung über individuelle praktische Arbeiten (IPA) an Abschlussprüfungen» des Staatssekretariates für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI), vormals Bundesamt für Berufsbildung BBT.
Jede OdA kann, gestützt auf diese Wegleitung, eigene berufsspezifische Wegleitungen erarbeiten und zur Verfügung stellen. Im Sinne der Qualitätssicherung sollten diese immer durch die Abteilung Qualifikationsverfahren des SDBB überprüft und freigegeben werden.

A) Allgemeines

In einer zeitgemässen beruflichen Grundbildung werden mit den fachlichen Kenntnissen und Fertigkeiten immer auch Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen als sogenannte Schlüsselqualifikationen vermittelt. Mit einer IPA können sich Lernende bereits während der beruflichen Grundbildung über einen längeren Zeitraum mit anspruchsvollen Aufgabenstellungen in ihrem Beruf zielorientiert auseinandersetzen und die dabei erworbenen Kompetenzen im Rahmen abschliessender Qualifikationsverfahren unter Beweis stellen.

Grundlagen
1. Unter dem Begriff IPA werden verstanden:

  • individuelle Produktivarbeiten oder
  • individuelle Projektarbeiten oder
  • individuelle prozess- und dienstleistungsorientierte Arbeiten.

2. Die kantonale Behörde unterstützt die Schulung der vorgesetzten Fachkräfte durch die zuständigen Organisationen der Arbeitswelt und setzt Prüfungsexpertinnen und -experten ein, welche durch die Eidgenössische  Hochschule für Berufsbildung geschult werden.

Regeln für die Ausführung der IPA
1. Die zum Zeitpunkt des Prüfungsverfahrens direkt vorgesetzte Fachperson formuliert die Aufgabenstellung und reicht diese der Prüfungsbehörde fristgerecht ein. Mit der Aufgabenstellung zusammen sind folgende Angaben einzureichen:

  • die veranschlagte Ausführungsdauer,
  • der geplante Ausführungszeitraum,
  • der vorgesehene und mit der Kandidatin/dem Kandidaten besprochene Beurteilungsund Bewertungsraster, sowie
  • ergänzende Informationen.

Die Aufgabenstellung und die ergänzenden Angaben werden von der Kandidatin/dem Kandidaten mitunterzeichnet. Mit der Unterschrift bestätigt sie/er die Kenntnisnahme der Aufgabenstellung.

2. Mindestens ein von der Prüfungsbehörde eingesetztes Mitglied des Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteams prüft die Eingabe auf formelle Vollständigkeit und die Konformität der Aufgabenstellung mit den Leistungsanforderungen gemäss Bildungsplan. Die Prüfungsexpertin/der Prüfungsexperte orientiert die vorgesetzte Fachperson über deren Aufgaben, Rechte und Pflichten und gibt die Ausführung frei oder weist sie zur Bereinigung zurück.

3. Die zu qualifizierende Person (Kandidatin/Kandidat) führt an ihrem betrieblichen Arbeitsplatz mit den gewohnten Mitteln und Methoden einen Auftrag aus. Der Auftrag hat einen praktischen Nutzen zum Ziel. Der Auftrag kann die Form eines Projekts (Produkt oder Dienstleistung) oder klar abgegrenzter Teile von Projekten usw. haben.

4. Die vorgesetzte Fachperson beurteilt die Auftragserfüllung und die erstellte Dokumentation.

5. Die Kandidatin/der Kandidat präsentiert dem Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteam die Ausführung und das Ergebnis der IPA unter Einbezug der Dokumentation und stellt sich in einem Fachgespräch den Fragen im Zusammenhang mit der ausgeführten IPA.

B) Rahmenbedingungen

Zeitrahmen und Ablauf
1. Die IPA wird in der Regel im letzten Semester der beruflichen Grundbildung ausgeführt. Die Prüfungsbehörde legt den Zeitraum der Ausführung fest.

2. Das zuständige Mitglied des Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteams vereinbart mit der vorgesetzten Fachkraft den genauen Zeitraum der Ausführung.

3. Die IPA soll in der vorgeschlagenen und akzeptierten Ausführungszeit abgeschlossen werden. Zeichnet sich ab, dass die Einhaltung der festgelegten Ausführungszeit aus wichtigen Gründen nicht möglich ist, einigen sich die vorgesetzte Fachkraft und das zugewiesene Mitglied des Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteams über den Zeitpunkt des Abbruchs der IPA. Die in der jeweiligen Verordnung über die berufliche Grundbildung festgelegte maximale Dauer für die IPA darf nicht überschritten werden.

Aufgabenstellung
1. Die Kandidatin/der Kandidat löst Aufgaben aus dem normalen Auftragsspektrum ihres/ seines aktuellen Arbeitsgebiets in der beruflichen Praxis. Die Aufgabe entspricht den Leistungsanforderungen gemäss Bildungsplan.

2. Aufgabenstellung, Zielsetzung und erwartete Resultate sind eindeutig beschrieben und überprüfbar. Der Lösungsweg bleibt möglichst offen.

3. Seriearbeit bzw. das Aneinanderreihen sich wiederholender Arbeitsabläufe zur Erreichung der minimal angesetzten Ausführungszeitspanne bleibt ausgeschlossen.

4. Die Aufgabe soll mit den gängigen Mitteln und Methoden gelöst werden, welche die Kandidatin/der Kandidat im Verlaufe der Bildung in der beruflichen Praxis kennen gelernt und angewandt hat. Der Einsatz neuer Mittel und Methoden und das damit verbundene Einarbeiten sind in vertretbarem Rahmen möglich.

Durchführung
1. Der Auftrag wird als Einzelarbeit und weitgehend selbstständig ausgeführt. Teamarbeit ist zulässig, sofern es Teile des Auftrags erlauben, die Leistung jedes einzelnen Teammitglieds zu beurteilen.

2. Die Kandidatin/der Kandidat führt ein Arbeitsjournal. Sie/er dokumentiert darin regelmässig, mindestens täglich, das Vorgehen, den Stand der Prüfungsarbeit im Sinne der Auftragserfüllung und des Arbeitsfortschritts, sämtliche fremde Hilfestellungen und besondere Vorkommnisse wie z.B. Stellvertretungen der vorgesetzten Fachkraft,  Arbeitsunterbrüche, organisatorische Probleme, Abweichungen von der Soll-Planung.

3. Ausführung und Form der Dokumentation entsprechen den erlassenen Regelungen. Das Erstellen der Dokumentation ist zeitlicher und inhaltlicher Bestandteil der IPA. Die vorgesetzte Fachkraft leitet die Dokumentation nach der Auftragserfüllung weiter an das Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteam zur Vorbereitung des Fachgesprächs.

4. Die Dokumentation umfasst minimal die Aufgabenstellung, die Planung der Auftragserfüllung, das Arbeitsjournal und jene Unterlagen, welche für die Nachvollziehbarkeit der Ausführung unentbehrlich sind.

5. Mindestens ein Mitglied des Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteams begleitet die Ausführung des Auftrags stichprobenweise und hält die Beobachtungen schriftlich fest. Die Prüfungsbesuche beschränken sich auf das ausführungsabhängige nötige Mass und dienen in erster Linie der Vertrauensbildung und den ergänzenden Beobachtungen für die Gesamtbeurteilung. Der Zutritt zum Prüfungsort während der Ausführung bleibt dem Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteam garantiert.

6. Der Besuch des Pflichtunterrichts in schulischer Bildung während der Ausführungsdauer der IPA muss gewährleistet sein. Abweichungen regelt die kantonale Behörde.

Abschluss und Beurteilungsverfahren
1. Die vorgesetzte Fachkraft beurteilt die Ausführung des Auftrags und das Resultat der Arbeit und schlägt die Bewertung nach der berufsspezifischen Wegleitung vor.

2. Die Beurteilung der IPA richtet sich nach der für den Beruf massgeblichen Verordnung über die berufliche Grundbildung und nach dem Bildungsplan. Die Beurteilungskriterien, deren Gewichtung und Messung sowie die Zuständigkeiten zur Beurteilung der einzelnen Kriterien sind in der berufsspezifischen Wegleitung festgelegt.

3. Mindestens ein Mitglied des Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteams überprüft die durch die vorgesetzte Fachkraft vorgenommene Beurteilung der Auftragserfüllung und die Plausibilität der vorgeschlagenen Bewertung.

4. Die Kandidatin/der Kandidat präsentiert auf Grundlage der Dokumentation die IPA dem Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteam und stellt sich den auftragsbezogenen Fragen. Das Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteam beurteilt die Präsentation und das Fachgespräch. Präsentation und Fachgespräch dauern zusammen höchstens eine Stunde. Das Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteam prüft primär, wieweit die Kompetenzen der Kandidatin/des Kandidaten mit dem ausgeführten Prüfungsauftrag übereinstimmen. Es vermeidet Fragen, die im Rahmen eines anderen Qualifikationsbereichs geprüft werden und beurteilt insbesondere die Fachkompetenzen und die ausgewählten Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen. Die vorgesetzte Fachkraft kann diesem Prüfungsteil im Einverständnis mit der Kandidatin/dem Kandidaten als Zuhörerin/Zuhörer beiwohnen.

5. Das Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteam und die vorgesetzte Fachperson einigen sich nach Vorliegen des Bewertungsvorschlags für den ausgeführten Prüfungsauftrag über die abschliessende Bewertung. Diese Bereinigung erfolgt nach der Präsentation und dem Fachgespräch. Kommt keine Einigung zustande, entscheidet die von der kantonalen Behörde bezeichnete Prüfungsinstanz (in der Regel Chefexpertin oder Chefexperte).

4.2.3 Spezielle Prüfungsformen in der kaufmännischen Grundbildung

Übersicht
Im kaufmännischen Bereich gibt es auf der betrieblichen Seite fünf Prüfungsformen: Schriftliche und mündliche Prüfung, Arbeits- und Lernsituationen (ALS) und zur Auswahl entweder Prozesseinheiten (PE) oder üK-Kompetenznachweise (üK-KN). Die letzteren - ALS und PE oder üK-KN – ergeben die Erfahrungsnote des betrieblichen Teil des QV und bestimmen zusammen 50 % der betrieblichen Schlussnote.
Das Handbuch beschränkt sich auf die kurze Präsentation derjenigen Prüfungsformen, die in anderen Berufen nicht vorkommen. (Einzelheiten und Hilfsmittel der verschiedenen Branchenverbände werden hier kommuniziert.)

Arbeits- und Lernsituation
Die ALS sind ein rein betriebliches Ausbildungs- und Qualifikationsinstrument. Im Verlauf der beruflichen Grundbildung werden sechs ALS durchgeführt und halbjährlich bewertet, wobei die Beurteilungskriterien durch die Ausbildungs- und Prüfungsbranchen klar definiert sind. Jede ALS-Note fliesst zusammen mit den beiden Noten aus den PE oder üK-KN in die Berechnung der betrieblichen Erfahrungsnote ein.
In der ALS werden einerseits die im Betrieb umgesetzten Fachkompetenzen (Pflicht- und Wahlpflicht-Leistungsziele) und andererseits ausgewählte Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen beurteilt. Die Anzahl der Leistungsziele sowie die Anzahl der Methoden-, Sozial-und Selbstkompetenzen werden von den Ausbildungs- und Prüfungsbranchen vorgegeben. Der Anteil der Fachkompetenzen an der Gesamtnote beträgt stets 50%.
Die Notengebung für die ALS erfolgt auf der Grundlage von Punkten oder Teilnoten. Die Ausbildungs- und Prüfungsbranchen stellen das für die Durchführung und Beurteilung der ALS benötigte Formular zur Verfügung. Sie entsprechen damit dem Anspruch, die Noten- bzw. Punkteverteilung zu begründen und nachvollziehbar zu machen.

Im Gespräch werden die Beobachtungen und die daraus resultierenden Beurteilungen den Lernenden mitgeteilt. Über die Beurteilung muss bei minderjährigen Lernenden auch die gesetzliche Vertretung informiert werden. Mit ihrer Unterschrift bestätigen die Lehrvertragsparteien, dass sie die Beurteilung eingesehen haben und ein Beurteilungsgespräch stattgefunden hat.
Zur Erfassung und Benotung der Arbeits- und Lernsituation steht eine Datenbank zur Verfügung. Die Ergebnisse der ALS müssen dort jeweils zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügbar sein.

Prozesseinheiten
Im Lehrbetrieb werden Prozesseinheiten (PE) zu betrieblichen Abläufen durchgeführt und umfassen Fachkompetenzen der/des Lernenden sowie ausgewählte Methoden- Sozial und Selbstkompetenzen. Die Lernenden sollen mit Hilfe der Prozesseinheiten die betrieblichen Abläufe kennenlernen und ins prozessorientierte bereichsübergreifende Denken und Handeln eingeführt werden.
Die Anleitung, Durchführung und Beurteilung der PE kann in Zusammenarbeit mit den überbetrieblichen Kursen stattfinden. Im Verlaufe der beruflichen Grundbildung können zwischen 0 und 2 PE durchgeführt werden. Falls sich die Ausbildungs- und Prüfungsbranche für die Variante 6 ALS und 2 PE entschieden hat, fliesst jede PE in die betriebliche Erfahrungsnote mit ein. Die Beurteilungskriterien und der Beurteilungsmodus (auf der Basis von Punkten oder Teilnoten) werden von den Ausbildungs- und Prüfungsbranchen vorgegeben. Dazu stellen diese auch ein entsprechendes Formular und eine Wegleitung für Lernende, Berufsbildungsverantwortliche und ÜK-Leitende zur Verfügung. Die Beurteilung wird begründet und nachvollziehbar gemacht.

Anlässlich eines Gesprächs teilen die Berufsbildnerin/der Berufsbildner oder allenfalls die Verantwortlichen der überbetrieblichen Kurse der/dem Lernenden die Beurteilung mit. Die beteiligten Parteien bestätigen mit ihrer Unterschrift, dass die beiden Beurteilungsgespräche stattgefunden haben.
Zur Erfassung und Benotung der PE steht eine Datenbank zur Verfügung. Die Ergebnisse der Prozesseinheit müssen dort jeweils zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügbar sein.

Überbetriebliche Kurse–Kompetenznachweise (üK-KN)
Die Ausbildungs- und Prüfungsbranchen können anstelle von Prozesseinheiten üK-Kompetenznachweise erstellen. Im Rahmen der üK-KN werden üK-relevante Fachkompetenzen und gegebenenfalls ausgewählte Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen nach Vorgaben des Bildungsplans geprüft. Die Ausbildungs- und Prüfungsbrachen geben die zu bewertenden Leistungsziele, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen vor und definieren die entsprechenden Beurteilungskriterien. Je nach Bildungszielen und Eignung werden unterschiedliche Prüfungsformen angewendet, wie beispielsweise: a) Mündliches Fachgespräch / Kundengespräch, b) Formen von Präsentationen mit geeigneten Arbeitsmitteln, c) Schriftliche Prüfung (Papierform, elektronisch etc.).

Im Verlaufe der beruflichen Grundbildung können zwischen 0 und 2 üK-KN erbracht werden. Die Ausbildungs- und Prüfungsbranchen legen die Dauer und den Zeitpunkt der üK-KN fest, wobei die Bildungsziele für einen  Kompetenznachweis aber mindestens 4 Tage überbetriebliche Kurse umfassen müssen.
Beide üK-KN fliessen in die betriebliche Erfahrungsnote mit ein, wenn sich die Ausbildungsund Prüfungsbranche für diese Variante 6 ALS und 2 üK-KN entschieden hat.
Die anerkannten Ausbildungs- und Prüfungsbranchen stellen die für die Durchführung und Beurteilung der üK-KN benötigten Instrumente und eine Wegleitung für Lernende und ÜKLeitende zur Verfügung. Damit definieren sie Kriterien für die Beurteilung von Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen. Die Noten-, bzw. Punkteerteilung kann mit Hilfe dieses Instruments begründet und nachvollziehbar gemacht werden.

Anlässlich eines Gesprächs teilen die Berufsbildnerin/der Berufsbildner oder allenfalls die Verantwortlichen der überbetrieblichen Kurse der/dem Lernenden die Beurteilung mit. Die beteiligten Parteien bestätigen mit ihrer Unterschrift, dass die beiden Beurteilungsgespräche stattgefunden haben.
Zur Erfassung und Benotung der üK-KN steht eine Datenbank zur Verfügung. Die Ergebnisse der Prozesseinheit müssen dort jeweils zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügbar sein.

Branchenspezifische mündliche Prüfung
Der Qualifikationsbereich „Berufspraxis – mündlich“ umfasst den Fachkompetenzbereich Branche und Betrieb gemäss Bildungsplan. Er bezieht sich auf die Pflicht- und Wahlpflicht- Leistungsziele aus den Lernorten Betrieb und Überbetriebliche Kurse und kann ausgewählte Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen aus dem Bildungsplan aufgreifen.
In der mündlichen Prüfung zeigen die Kandidatinnen/Kandidaten ihr Können in kommunikativen Situationen im Rahmen der Tätigkeit im Lehrbetrieb und in ihrer Branche (z. B. Beratung und Verkauf). Sie findet in Form eines Fachgesprächs oder Rollenspiels statt.

Die Prüfung hat zum Ziel, die Befähigung zu qualifiziertem beruflichen Handeln und das Zusammenspiel von Denken und Handeln bei der Bewältigung von beruflichen Handlungssituationen zu erfassen sowie konkrete  Handlungssituationen aus der beruflichen Praxis darzustellen. Vorbereitet und durchgeführt wird die mündliche Prüfung auf der Grundlage eines Praxisberichts, der vom ausbildenden Betrieb und von den Kandidatinnen/Kandidaten erstellt wurde. Die Ausbildungs- und Prüfungsbranche kann aber auch ein anderes geeignetes Instrument vorgeben.

Die an der mündlichen Prüfung zum Einsatz kommende Methode des Fachgesprächs, bzw. des Rollenspiels wird den zu überprüfenden Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen angepasst (z.B. Fallbeispiel, Verkaufs- oder Beratungsgespräch, Fachgespräch zu einem Arbeitsauftrag, etc.). Die Ausbildungs- und Prüfungsbranchen legen die Modalitäten zur Vorbereitungszeit und zur Durchführung fest. Die Prüfung dauert 30 Minuten.

Es ist Aufgabe der Ausbildungs- und Prüfungsbranchen, die für die Durchführung der Prüfung erforderlichen Instrumente (Wegleitung für die Prüfungsexpertinnen und -experten, Fallbeispiele, Beurteilungskriterien, Prüfungsprotokoll, etc.) zur Verfügung zu stellen und die Information der Lernenden und Berufsbildungsverantwortlichen zu sichern.

4.3 Berufskenntnisse

4.3.1 Anspruchsniveau von Prüfungsaufgaben

Die Prüfungsaufgaben werden auf unterschiedlichem Anspruchsniveau formuliert. Dazu gehören Aufgaben, in denen die Kandidatinnen/Kandidaten das gelernte Wissen vorzeigen können (Reproduktion), aber auch Aufgaben, in denen sie das Gelernte anwenden und kombinieren können (Übertragung, Transfer). Es werden drei oder sechs verschiedene Taxonomiestufen (Anspruchsniveaus) unterschieden. Die Zuordnung eines Prüfungsinhalts zu einer Stufe definiert, welche intellektuelle Leistung von den Kandidatinnen/Kandidaten bei der Beantwortung der Frage erwartet wird. So unterscheiden sich zum Beispiel die kreativen, geistig anspruchsvollen Fragen von den Wissensfragen, bei denen erlernte Kenntnisse wiedergegeben werden.

In der Art und Weise, wie eine Prüfungsfrage gestellt wird, entscheidet sich, welche Leistung die Kandidatin/der Kandidat zu ihrer Beantwortung erbringen muss.

Für den kognitiven Bereich des Lernens entwickelte Benjamin Bloom mit seinem Mitarbeiterstab Mitte der Fünfzigerjahre des 20. Jahrhunderts eine Taxonomie. Das ist ein Ordnungssystem, das helfen soll, bei der Vorbereitung und Durchführung des Unterrichts Lern- und Denkprozesse auf verschiedenen Ebenen anzugehen. Auf der ersten Ebene sind eher anspruchslose Denkleistungen aufgeführt. Hier müssen sich die Lernenden an einen Sachverhalt erinnern und die gelernte Information wiedergeben. Dann werden die Denk- und Lernleistungen immer komplexer. So müssen die Lernenden beispielsweise eine eigene Analyse durchführen und eine persönliche Bewertung abgeben.

Sinnvoll ist es, die sechs Stufen von Bloom teilweise zusammenzufassen: Bei der Stufe I (Kenntnisse) wird als Denkleistung das Erinnern vorausgesetzt. Gelernte Informationen sollen wiedererkannt und unverändert reproduziert werden. Die Stufe II setzt sich aus Verstehen und Anwenden zusammen. Die Lernenden können eine gelernte Information sinngemäss «abbilden» und die gelernte Struktur auf einen sprachlich neuartigen, strukturell gleichen Inhalt übertragen. Bei der Stufe III (Analyse, Synthese, Beurteilung) werden Probleme umfassend bearbeitet.

Taxonomie der kognitiven Lernziele (nach Bloom)
Abbildung 14: Taxonomie der kognitiven Lernziele (nach Bloom)
EHB

4.3.2 Schriftliche Prüfungen

Einführung
Wer lehrt, prüft mit! In vielen Arbeitsgruppen für Prüfungsfragen arbeiten auch Lehrpersonen für den berufskundlichen schulischen Unterricht mit. Sie sind in der Anwendung der verschiedenen Aufgabentypen und Taxonomiestufen ausgebildet und fördern damit die Qualität der auf die Verordnung über die berufliche Grundbildung und den Bildungsplan abgestimmten Aufgabenstellungen.

Zusammenarbeit zwischen Prüfungsexpertinnen und -experten sowie Lehrpersonen der schulischen Grundbildung
Für den Bereich der Berufs- und Fachkenntnisse gilt, dass die Organisationen der Arbeitswelt OdA für den Inhalt der Prüfungsfragen verantwortlich zeichnen. Viele OdA haben entschieden, dass die Erstellung der Prüfungsfragen gesamtschweizerisch koordiniert wird. Die Abteilung Qualifikationsverfahren des SDBB begleitet auf Anfrage die Arbeitsgruppen und kann Herausgeberin der Prüfungsfragen sein.

Vor- und Nachteile von schriftlichen Prüfungen

  • Schriftliche Prüfungen sind ein geeignetes Mittel, um möglichst objektiv berufsbezogenes Wissen zu prüfen. Sie sind weitgehend unabhängig von Personen und somit auch kaum mit emotionalen Einflüssen belastet. Ihre Bewertung erfolgt nach einem Schlüssel und ohne Umweg über eine Protokollführung.
  • Bei schriftlichen Prüfungen im Bereich des berufskundlichen Unterrichts wird die Orthografie in der Regel nicht bewertet.
  • Schriftliche Prüfungen erlauben es den Kandidatinnen/Kandidaten, sich bei der Lösung der Aufgaben nach den eigenen Stärken und Schwächen zu richten (z. B. bezüglich Lösungsreihenfolge oder Arbeitstempo).
  • Bei der Benotung der schriftlichen Prüfungen besteht eine gewisse Gefahr in der unflexiblen Anwendung des Bewertungsschlüssels und in der Benachteiligung von Kandidatinnen/Kandidaten, die mit der schriftlichen Ausdrucksweise Mühe haben.
  • Die Aufgabenformulierung muss sehr sorgfältig erfolgen, da jede Unklarheit, Unsauberkeit in der Fragestellung oder Fehlerhaftigkeit der Angaben zu Beeinträchtigungen bei der Bearbeitung führt.
  • Der Aufwand für das Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteam während der Prüfung ist bescheiden, beschränkt sich meist auf die Aufsicht und ist somit von der Gruppenzahl nicht direkt abhängig.
  • Eine faire Prüfungsdurchführung hängt von verschiedenen Kriterien ab. Sie beziehen sich auf die Inhalte der Prüfungsaufgaben, auf deren Formulierung und Gestaltung, auf die Zusammenstellung von Aufgabensätzen und  Prüfungsserien, auf die Randbedingungen der Prüfungsdurchführung und die Auswertung.

Wie müssen schriftliche Prüfungen formuliert und gestaltet sein?

Aufgaben müssen sprachlich klar und verständlich formuliert sein und alle Informationen enthalten, die für das richtige Lösen notwendig sind. Übersichtliche Abbildungen und Skizzen ergänzen die Aufgabe und machen sie verständlich. Bei komplexer Aufgabenstellung ist es hilfreich und übersichtlich, wenn die Aufgabenformulierung in der Reihenfolge der erforderlichen Lösungsschritte erfolgt.

Einfach und übersichtlich gestaltete Aufgabenblätter führen durch die Lösungsschritte und beugen Unsicherheiten vor.

Erprobung
Die Erprobung der neu entwickelten Aufgaben vor ihrer Anwendung ist empfehlenswert und erhöht deren Qualität. Aufgabensätze, die zur Verfügung gestellt werden, sollten vor der Anwendung durch ein Mitglied des  Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteams gelöst und überprüft werden. Dabei muss davon ausgegangen werden, dass der Zeitbedarf für die Kandidatinnen/Kandidaten in der Regel höher liegt.

Aufgabensätze und Prüfungsserien
Aufgabensätze für ein bestimmtes Prüfungsfach müssen in ihrer Gesamtheit repräsentativ sein, d. h. den Absichten der Verordnung über die berufliche Grundbildung und dem Bildungsplan bezüglich Inhalt und Schwierigkeitsgrad entsprechen. Damit sie inhaltlich gültig sind, sollen sie die verschiedenen Lernziele abdecken und gewichten.
Bei der Reihenfolge der Aufgaben innerhalb eines Aufgabensatzes ist neben inhaltlichen Gesichtspunkten auch auf einen allmählich zunehmenden Schwierigkeitsgrad zu achten. Zwischen Fragen zum Faktenwissen und Aufgaben, die Verständnis, Interpretation, Anwendung usw. prüfen, soll im Hinblick auf die erwarteten Qualifikationen ein angemessenes Verhältnis dem Bildungsplan entsprechend bestehen.
Zu den Lösungen gehört immer auch ein Bewertungsvorschlag, bei dem teilweise richtige Lösungen ebenfalls mitzählen, falls es sich um sinnvolle Teillösungen im Rahmen der gestellten Aufgabe handelt.
 

Aufgabentypen
Geschlossen formulierte Aufgaben erfordern eine klar vorgegebene Antwortstruktur und verlangen als Antwort wenige, aber genau definierte Begriffe. Bei offen formulierten Aufgaben sind die Kandidatinnen/Kandidaten in ihrer Lösung freier; sie erfordern eine grössere Denkleistung und sind deshalb anspruchsvoller. Die Aufgabentypen werden aus verschiedenen Gründen variiert. Einmal können wir davon ausgehen, dass die Kandidatinnen/Kandidaten in den künftigen Lebens- und Berufssituationen immer wieder mit ganz verschiedenen Aufgaben konfrontiert werden – nur kann niemand genau vorhersagen, welcher Art die Aufgaben sein werden. Zum andern lassen sich bestimmte Leistungen mit einem hohen Anspruchsniveau nur über spezifische Aufgabentypen prüfen, d. h. ein Wechsel ist schon von der Sache her geboten. Bei der Zusammenstellung der Prüfungsaufgaben soll darauf geachtet werden, dass das Anspruchsniveau sukzessive angehoben wird. Mit einer offenen Aufgabe am Schluss der Prüfung können zudem unterschiedliche Arbeitstempi der Kandidatinnen/Kandidaten aufgefangen werden.

Korrektur und Bewertung
Korrektur und Bewertung schriftlicher Arbeiten sind ebenso wie die Abnahme mündlicher Prüfungen eine anspruchsvolle Aufgabe. Sie setzen eine sorgfältige Vorbereitung und eine klare Organisation voraus, damit das wichtigste Kriterium, nämlich die fachlich einwandfreie, gleiche Behandlung aller Kandidatinnen/Kandidaten, erfüllt wird.
Bei eigener Aufgabenstellung einigt sich das Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteam durch die Vorbereitung eines Bewertungsschlüssels darüber, was als richtig oder falsch gilt und für welche Teilleistungen eine reduzierte Punktezuteilung zulässig ist. Bei zentral vorbereitetenAufgabenserien werden die Bewertungsschlüssel mitgeliefert; es empfiehlt sich, sie zu überprüfen und nötigenfalls zu ergänzen.

Jede Korrektur wird durch eine zweite Prüfungsexpertin/einen zweiten Prüfungsexperten überprüft. Treten Differenzen auf, die nicht bereinigt werden können (z. B. bei Meinungsverschiedenheiten, Abweichung von der erwarteten Lösung, die nicht als falsch bezeichnet werden kann usw.), beurteilt die Chefexpertin/der Chefexperte die Situation. Kritische Fälle, in denen es um die Frage geht, ob das Ergebnis noch als genügend gilt, werden immer der Chefexpertin/dem Chefexperten zur Kenntnis gebracht.

Zur Qualitätskontrolle bei schriftlichen Prüfungen gilt es zu beachten:

  • Klares Layout und gute Lesbarkeit
  • Hinweise auf erlaubte Hilfsmittel
  • Genügend Platz für Lösungen und Korrekturbemerkungen
  • Mögliche Punktezahl pro Frage
  • Übereinstimmung mit den Leistungszielen nach Bildungsverordnung bzw. Bildungsplan
  • Verständlich formulierte Fragestellungen
  • Verschiedene Aufgabentypen
  • Ausgewogenheit der Taxonomiestufen
  • Ausgewogener Schwierigkeitsgrad
  • Sicherstellung der Gleichwertigkeit des Schwierigkeitsgrads bei mehreren Serien
  • Relevanz für die berufliche Tätigkeit
  • Klarer Lösungsschlüssel sowie Bewertungshinweise
  • Musterlösungen und Einschätzskala
  • Umrechnungstabelle von Punkten zu Noten
  • Angemessener Zeitaufwand für die Erstellung und die Korrektur
  • Ausgewogener Qualifikationsnachweis durch die Prüfung
  • Beurteilung durch mindestens zwei Prüfungsexpertinnen/Prüfungsexperten

4.3.3 Mündliche Prüfungen

Bei richtiger Durchführung erlauben die mündlichen Prüfungen ein Fachgespräch und können in einem Masse auf den Arbeits- und Erfahrungsbereich der Kandidatin/des Kandidaten eingehen, wie dies bei den schriftlichen Prüfungen nicht möglich ist. Mündliche Prüfungen kommen denjenigen Kandidatinnen/Kandidaten entgegen, die Mühe haben, sich schriftlich auszudrücken. Andere, die sich im direkten Gespräch gehemmt fühlen, schneiden in der mündlichen Prüfung dagegen schlechter ab. In diesem Fall ist es speziell wichtig, dass Angst und Unsicherheit zu Beginn der Befragung abgebaut werden können.

Die Bildungsverordnungen bestimmen, dass mündliche Prüfungen stets von einem Team aus zwei Prüfungsexpertinnen oder zwei Prüfungsexperten oder einer Prüfungsexpertin und einem Prüfungsexperten abgenommen werden müssen. Das Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteam verständigt sich vor der Prüfung auf die zu übernehmende Rolle:

  • Gesprächsführerin/Gesprächsführer
  • Protokollführerin/Protokollführer

Beide müssen fachlich, methodisch und sozial kompetent und mittels vorbereiteter Unterlagen über den Prüfungsinhalt detailliert im Bild sein. Dies ist bei den Protokollführenden genauso wichtig wie bei den Gesprächsführenden, weil deren Notizen später bei der Notengebung und in einem allfälligen Beschwerdefall von grundlegender Bedeutung sind. Prüfungsexpertinnen und -experten nehmen im Vorfeld der Prüfung miteinander Kontakt auf, bereiten die Prüfung vor, stellen Gesprächsthemen und Aufgaben zusammen und besprechen den Prüfungsverlauf.

Stellt die OdA fixfertige Prüfungsfragen und -protokolle zur Verfügung, müssen die Prüfungsexpertinnen und -experten Methodik und Didaktik der Durchführung gut überlegen. «Pfannenfertig» formulierte Fragen in Hochdeutsch sind spontan nicht immer leicht in Prüfungsdialekt zu übersetzen. Es empfiehlt sich deshalb, sich vor der Prüfung die Mundartversion (oder regionale Version) einzelner Fragen zu überlegen.
Eine klare Rollenteilung im Vorfeld der Prüfung erleichtert die Durchführung ganz wesentlich. Prüfungsexpertin/Prüfungsexperte und Kandidatin/Kandidat müssen sich in jeder Phase der mündlichen Prüfung sicher und gut informiert fühlen.

Charakteristika der mündlichen Prüfung
Abbildung 15: Charakteristika der mündlichen Prüfung
EHB

Das Gelingen einer mündlichen Prüfung ist also neben der sorgfältigen Vorbereitung (Gesprächsthemen, Taxonomie) weitgehend von der Fähigkeit des Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteams abhängig, das Fach- oder Prüfungsgespräch konstruktiv zu führen.

Prüfungsstoff zusammenstellen und aufteilen
Das von der Chefexpertin/dem Chefexperten beauftragte Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteam legt den Prüfungsstoff fest, indem es eine repräsentative Auswahl von Themen aus dem gesamten Stoff trifft. Geprüft werden die Kompetenzen (Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen) gemäss Bildungsverordnung und gemäss Zielen im Bildungsplan. In der Wegleitung zum Qualifikationsverfahren sowie mit den Protokollrastern ist der entsprechende Spielraum für das Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteam definiert.

Aufgaben formulieren
Die Prüfungsexpertinnen und -experten bereiten zum ausgewählten Prüfungsstoff im Voraus Aufgaben vor, welche die Berufs- und Lebenserfahrung der Kandidatinnen/Kandidaten berücksichtigen sowie inhaltlich und taxonomisch dem jeweiligen Bildungsplan entsprechen. Baut das Prüfungsgespräch auf den Einträgen der Lern- und Leistungsdokumentation auf, können die individuellen Lernwege sowie die erworbenen Kompetenzen ganz gezielt besprochen werden.

Das Prüfungsgespräch soll nicht in ein Frage- und Antwortspiel ausarten; es ist ein echtes Gespräch unter Fachleuten anzustreben, das eine Aussage über die berufliche Handlungskompetenz erlaubt.
Man unterscheidet bei mündlichen Prüfungen zwischen geschlossenen und offenen Fragen. In der Regel sind geschlossene Fragen eher Wissensfragen, offene Fragen eher Verstehensfragen zuzuordnen (siehe Taxonomiestufen nach Bloom).

Beispiele von geschlossenen und offenen Fragen

Geschlossene und offen Fragen
Abbildung 16: Geschlossene und offen Fragen
EHB

Bei offenen Fragen ist es wichtig darauf zu achten, der Kandidatin/dem Kandidaten genügend Zeit zum Überlegen einzuräumen und zu warten, bis sie/er sich ganz ausgesprochen hat. Mit der Aufnahme des skizzierten Lösungsansatzes kann sich in der Folge ein zusammenhängendes Prüfungsgespräch ergeben, bis das Lerngebiet gewechselt wird. Der Wechsel muss durch die Prüfungsexpertin/den Prüfungsexperten deutlich angezeigt werden.

Im Verlaufe des  Fachgesprächs kann immer wieder ein Wechsel von offenen zu geschlossenen Aufgabenstellungen stattfinden, der sich daraus ergibt, dass über ein Thema zuerst mit weiten Fragen eine Eingrenzung vorgenommen wird, die  anschliessend zu präzisen Rückfragen über einen bestimmten Sachverhalt führt. Auch das umgekehrte Vorgehen ist denkbar.

Messbarkeit von Prüfungsfragen
Gute Prüfungsfragen sind objektiv messbar. Objektiv heisst: Frei von Wertvorstellungen und in der Praxis nachvollziehbar. Aus diesem Grund ist auch die Einbindung von Zahlen (Quantitäten) und Tätigkeiten (Verben) sehr empfehlenswert.

Beispiele:

  • Zählen Sie die aus Ihrer Sicht wichtigsten drei Schritte dieses Arbeitsprozess auf.
  • Begründen Sie mit je einem Argument, warum Sie diese drei Schritte gewählt haben.
  • Nennen Sie die drei wichtigsten Sicherheitsrisiken dieser Arbeitsphase.
  • Erläutern Sie die Konsequenzen, wenn Sie diese vernachlässigen.
  • Wie sind Sie bei der Verwendung von Texten aus anderen Quellen in Ihrer Arbeit vorgegangen?
  • Nennen Sie eine Quelle und mindestens zwei rechtliche Argumente, welche Sie berücksichtigen mussten.

Aufgabenstellungen oder Fragen können auch überrumpeln, verunsichern, täuschen, ablenken oder manipulieren. Darum sind einige einfache Regeln zu beachten:

  • Das Prüfungsgespräch ist ein Gespräch zwischen zwei Fachleuten, die sich gegenseitig als solche achten; es soll nicht zum Verhör werden.
  • Beginnt eine Frage mit «wie, wer, wo, welches …», so ist sie präzis, eindeutig und klar.
  • Umständliche und verschachtelte Aufgabenstellungen vermeiden. «Was würden Sie tun, wenn das und das verlangt würde, und Sie …». Stattdessen den Sachverhalt kurz schildern und anschliessend eine kurze Aufgabe stellen.
  • Bestätigungsfragen «Beurteilen Sie diese Konstruktion als richtig …?» lösen ein Ja oder Nein als Antwort aus; stets eine Begründung verlangen.
  • Keine Suggestivfragen stellen. «Sind Sie nicht auch der Meinung, dass …?»
  • Vage und unbestimmte Aufträge oder Fragen vermeiden. «Erzählen Sie mir etwas über …»
  • Die Aufgaben sollen klar und verständlich formuliert sein. Mehrmaliges Präzisieren einer Aufgabe wirkt verwirrend.

Beurteilungskriterien festlegen
Das Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteam muss sich überlegen, welche Leistungen und Antworten der Kandidatinnen/Kandidaten erwartet und als korrekt taxiert. Dies erfordert ein klares Verständnis über den Sinn und Zweck von mündlichen Prüfungen (Prüfen des Verständnisses und der Fähigkeit, Probleme zu analysieren und zu beurteilen) sowie eine klare Vorstellung der zu erfüllenden Anforderungen in der Prüfung.

Beurteilen und Bewerten hat immer mit dem Vergleich zwischen SOLL (Kriterium) und IST (erbrachte Leistung) zu tun. Wird ein Kriterium vollständig erfüllt? Wenn nein, in welchem Masse weicht die erbrachte Leistung vom Kriterium ab? Abweichungen treten entweder in Form von Fehlern und Lücken auf oder sie entstehen bei unerwarteten und alternativen Lösungsvorschlägen.
Dieser Vorgang ist für Prüfungsexpertinnen und -experten darum besonders anspruchsvoll, weil er im Vergleich zur Durchsicht und Bewertung einer schriftlichen Prüfungsarbeit rasch und fast unkorrigierbar abläuft.
Es gilt auch, die eigene Interpretation von Aussagen und Reaktionen in den Hintergrund zu stellen. Für die Beurteilung sind nur die Aussagen und Handlungen der Kandidatinnen/Kandidaten massgebend.

Prüfungsgespräch durchführen

Örtlichkeiten und Umgebung sind für den Verlauf des Prüfungsgesprächs wichtig. Die folgenden Punkte verhelfen zu einer angenehmen Prüfungsatmosphäre:

  • Keine der beteiligten Personen wird durch eine Lichtquelle (Gegenlicht) gestört.
  • Die Kandidatin/der Kandidat hat beide beteiligten Prüfungsexpertinnen und -experten in ihrem/seinem Gesichtsfeld.
  • Zu Kandidatinnen/Kandidaten ist stets eine natürliche Distanz zu wahren.
  • Das Anschauungsmaterial ist vorbereitet und kann einfach und ohne Umstände ins Gespräch einbezogen werden.
  • Die Tür befindet sich nicht im Rücken der Kandidatin/des Kandidaten.
  • Das Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteam verhindert eine Störung des Gesprächs von aussen.
  • Das Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteam verhält sich in jedem Fall natürlich, wohlwollend und geduldig.
  • Die Gesprächsführerin/der Gesprächsführer verwendet die Fachsprache, die der Kandidatin/dem Kandidaten von der schulischen Bildung oder vom Betrieb her vertraut ist.

Das Prüfungsgespräch beginnt mit einer ungezwungenen Begrüssung. Die Prüfungsexpertinnen und -experten stellen sich vor und erklären ihre Rollen. Dies ist wichtig, damit die Kandidatin/der Kandidat versteht, dass die Doppelbesetzung als Einrichtung zu ihrem/seinem Schutz gedacht ist. Gleichzeitig baut die Prüfungsexpertin/der Prüfungsexperte einen aktiven Kontakt auf.

Regeln für einen positiven Gesprächsverlauf

  • Der Kandidatin/dem Kandidaten wird nach der Begrüssung der Prüfungsablauf in der Übersicht geschildert.
  • Der Einstieg wird mit einer einfachen Aufgabenstellung erleichtert. Gemeint sind Aufgabenstellungen, bei denen die Kandidatin/der Kandidat einige Sätze sprechen kann. Erste richtige Antworten geben Sicherheit und bauen Ängste ab. Die Kandidatin/der Kandidat kann sich «freisprechen». Erst nach und nach werden anspruchsvollere Problemstellungen eingebracht.
  • Je nach Aufgabe wird der Kandidatin/dem Kandidaten die Möglichkeit gegeben, die Antworten mit Skizzen zu unterstützen.
  • Wenn eine Aufgabe nicht verstanden wurde, ist diese anders zu formulieren und allenfalls ein Denkanstoss zu geben.
  • Fragen und Aufgaben zu unterschiedlichen Themen werden sinnvoll voneinander abgegrenzt; der Wechsel zu einem neuen Thema soll als solcher definiert werden.
  • Die Gesprächsführerin/der Gesprächsführer bemisst die eigene Redezeit knapp.
  • Die Gesprächsführerin/der Gesprächsführer achtet auf einen natürlichen Fluss des Gesprächs, wirkt nie belehrend und lässt sich nicht auf ein Streitgespräch ein.
  • Die Protokollführerin/der Protokollführer beteiligt sich in der Regel nicht am Gespräch.

Zuhören
Zuhören ist ein aktiver Vorgang, der viel Konzentration erfordert. Untersuchungen haben gezeigt, dass Zuhörende häufig mit ihren Gedanken abschweifen und schliesslich nur ungefähr die Hälfte von dem aufnehmen, was ihr Gegenüber kommuniziert.

Zuhören umfasst das Aufnehmen und das Verstehen der Worte, das Begreifen der Zusammenhänge des Gesprochenen und dessen richtige Einordnung.
Ansätze für das Verstehen liegen oft in nonverbalen Details wie zum Beispiel einer Geste, dem Tonfall oder einem Gesichtsausdruck. Zur richtigen Bewertung gehört aber auch, dass Zuhörende im Stande sind, das Gesagte zu objektivieren und die tatsächlichen Aussagen von Vorurteilen oder Nebeneffekten zu trennen.

Zuhören setzt Geduld voraus, weil die eigene gedankliche Reaktion oft schneller ist als das gesprochene Wort und sich dann Langeweile einstellen kann. Auch Gleichgültigkeit kann entstehen und zu einem vorgetäuschten Zuhören führen, was in der Prüfungssituation zu einer Verunsicherung der Kandidatin/des Kandidaten führen kann.

Reaktion auf Antworten
Die Kandidatin/der Kandidat ist auf Rückmeldungen angewiesen, damit sie/er sich orientieren kann.

  • Auf die Antworten der Kandidatin/des Kandidaten soll grundsätzlich wohlwollend reagiert werden – Spott, Sarkasmus, Tadel, Missbilligung müssen unbedingt vermieden werden.
  • Leistungen dürfen als solche neutral quittiert werden. Aber Achtung: Die blosse Bemerkung «gut!» ist irreführend, weil sie von der Kandidatin/vom Kandidaten auch dann als positive Quittung verstanden werden kann, wenn die Prüfungsexpertin/der Prüfungsexperte sie nur zum Übergang von einem Thema zum anderen verwendet.
  • Mit der Kennzeichnung falscher Antworten zurückhaltend sein und nur näher darauf eingehen, wenn dies für die Fortsetzung des Gesprächs nötig ist. Wenn möglich auf richtigen Teilen der Antwort aufbauen.
  • Wenn offensichtlich ist, dass die Kandidatin/der Kandidat eine Materie nicht beherrscht, ist es besser, das Thema zu wechseln statt zu lange bei einer Frage zu verweilen oder auf mehreren Fragen im gleichen Lerngebiet zu beharren.
  • Wenn es mehrere richtige Lösungen gibt, ist es förderlich, der Meinung der Kandidatin/des Kandidaten einen Spielraum zu lassen und sie/ihn nicht durch Betonung der eigenen, abweichenden Meinung zu verunsichern.
  • Der Kandidatin/dem Kandidaten kann, wenn nötig, durch Hinweise und allfällige Zusatzfragen Hilfestellung geleistet werden. Dies muss im Prüfungsprotokoll vermerkt und bei der Bewertung berücksichtigt werden.
  • Die Prüfungsexpertin/der Prüfungsexperte verhalten sich authentisch. Sprache und Mimik sollen dasselbe aussagen.

Schwierige Gesprächssituationen
Nicht immer läuft das Gespräch in den vorgesehenen Bahnen ab. Die Gesprächsführerin/der Gesprächsführer muss dann entscheiden, was zu tun ist. 

Prüfungsprotokoll
Über den Prüfungsverlauf ist Protokoll zu führen.

Die Protokollierung bildet die Grundlage für eine objektive und faire Beurteilung und erlaubt im Fall einer Beschwerde, die Notengebung nachzuvollziehen. Stichworte zu den Aufgaben, maximale Punktzahl und erwartete Leistungen der Kandidatinnen/Kandidaten werden festgehalten. Dies dient auch ausgezeichnet zur Vorbereitung der Prüfung und Abstimmung innerhalb des Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteams und als ideales Instrument für Quervergleich und Nivellierung zwischen mehreren Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteams.

Prüfungsgespräch auswerten
Die Protokollführerin/der Protokollführer beurteilt auf dem Protokollformular laufend und differenziert die gegebenen Antworten. Als Erinnerungshilfe für die Beurteilung werden Schlüsselbegriffe notiert und die Qualität der Antworten durch persönliche Symbole genauer umschrieben. Vermerkt werden ebenfalls alle vermittelten Denkanstösse.
Bei einem negativen Prüfungsverlauf empfiehlt es sich, besonders schwerwiegende Fehlantworten wörtlich festzuhalten.

Nach jeder Kandidatin/jedem Kandidaten wird ein Bewertungsgespräch durchgeführt. Für die Bewertung und Notengebung muss genügend Zeitreserve vorgesehen werden. Folgendes Vorgehen hat sich bewährt: Die Protokollführenden schlagen die Note oder die erreichte Punktzahl aufgrund ihrer Gesprächsnotizen vor. Die Gesprächsführenden äussern ihre Zustimmung oder einen Gegenvorschlag. Im Falle von Benotungsdifferenzen begründen beide ihre Noten und einigen sich. Die Note wird im Protokoll eingetragen.

Im Bewertungsgespräch ist besonders darauf zu achten, dass man die Kandidatin/den Kandidaten wohlwollend und objektiv beurteilt. Das Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteam soll sich nicht durch Wiedergabe isolierter Eindrücke oder unsachlicher Bemerkungen gegenseitig beeinflussen.

Beide Prüfungsexpertinnen/Prüfungsexperten unterschreiben das Protokoll (mit Kugelschreiber). Die Protokolle müssen nach Weisung der Prüfungsleitung aufbewahrt oder abgegeben werden.

Varianten der mündlichen Prüfung
In den Bildungsverordnungen und Bildungsplänen sowie in den Wegleitungen zu Qualifikationsverfahren werden verschiedenen Formen von mündlichen Prüfungen vorgegeben:

Rollenspiel

Durch Rollenspiele wird die Kandidatin/der Kandidat möglichst nah mit typischen Berufssituationen konfrontiert. In einem Kunden- oder Beratungsgespräch kann das Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteam erkennen, welches Wissen und Können handlungswirksam ist. Gleich wie im Alltag, kann der Verlauf und der Ausgang des Rollenspiels flexibel gestaltet werden.

Rollenspiele erfordern eine klare Rollenteilung im Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteam (Simulation, Protokollführung) sowie eine seriöse Beurteilung nach vorgegebenen Kriterien zu Fach-, Methoden- und Sozialkompetenzen; der Gesamteindruck kann dabei zusätzlich bewertet werden.

Fachgespräch

Durch Fachgespräche können komplexe Situationen aus dem beruflichen Alltag beschrieben, analysiert und beurteilt werden. Die Kandidatin/der Kandidat soll Fachgespräche in ihrer/seiner Erfahrungswelt orten (Habe ich ähnliche Situationen während meiner Berufslehre erlebt?) und entsprechende Situationen mittels Fachbegriffen beschreiben (Welche Fachbegriffe, Konzepte, Rahmenbedingungen, usw. sind in solchen Situationen bedeutsam?). Im Weiteren soll die Kandidatin/der Kandidat die Vorgehensweisen einer Fachperson in Aktion erläutern (Welches ist das richtige Verhalten in dieser Situation? Wie gehen Fachleute vor?) und aufzeigen können, woran man eine richtige Ausführung erkennen kann (Wann sind Aufgaben in solchen Situationen erfüllt? Woran erkennt man das?).

In der Vorbereitung von Fachgesprächen ist für das Prüfungsexpertinnen- und Prüfungsexpertenteam wichtig zu wissen, was geprüft werden will, welche Ausgangssituation dazu erforderlich ist, welche Eingaben dazu notwendig sind und welche Ergebnisse zu erwarten sind. Das Fallbeispiel soll kurz und prägnant beschrieben werden, die Aufgabenstellungen übersichtlich in Schritte aufgeteilt sowie die Kriterien zur Beurteilung transparent aufgeführt werden.

Präsentation

Durch ein Referat macht die Kandidatin/der Kandidat sichtbar, inwiefern sie/er befähigt ist, ein Thema aus ihrem/seinem Arbeitsgebiet vorzutragen. Die zur Wahl stehenden Themen sollen den Kandidatinnen/Kandidaten, zusammen mit allfälligen ergänzenden Unterlagen, schriftlich vorgelegt werden. Oft werden im Anschluss an eine Präsentation Verständnis- und Vertiefungsfragen gestellt, mit welchen die Eigenanteile der Präsentation bzw. die erworbenen Kompetenzen der Kandidatin/des Kandidaten überprüft werden können.

Um die Anforderungen an verschiedene Kandidatinnen/Kandidaten vergleichbar zu halten, sind auch hier die Beurteilungskriterien transparent aufzuführen. Es sind beispielsweise die Richtigkeit der Ausführungen, die Vollständigkeit der behandelten Probleme, die Form des Vortrags, die Klarheit der Ausführungen, die Prägnanz und die Konsequenz der Schlussfolgerungen usw.

Strukturiertes Interview
Die Prüfungsexpertinnen und -experten versetzen sich in die Rolle z.B. einer Fachjournalistin/eines Fachjournalisten der entsprechenden Branche. Der Auftrag an die Kandidatin/den Kandidaten besteht z.B. darin, 7 vorbereitete Fragen ausführlich zu beantworten. Solche Fragen können im Detail vorbereitet und der Kandidatin/dem Kandidaten auch schriftlich vorgelegt werden. Das strukturierte Interview erlaubt der Prüfungsexpertin/dem Prüfungsexperten eine sehr detaillierte Vorbereitung der möglichen Antworten und dadurch eine faire und zielgenaue Beurteilung und Bewertung der ausgeführten Themen. Gleichzeitig bleibt ein kreativer Spielraum, welcher im Dialog zwischen der  Prüfungsexpertin/dem Prüfungsexperten und der Kandidatin/dem Kandidaten, auch spontan, gepflegt werden kann.

4.4 Allgemeinbildung

Der allgemeinbildende Unterricht vermittelt grundlegende Kompetenzen zur Orientierung im persönlichen Lebenskontext und in der Gesellschaft sowie zur Bewältigung von privaten und beruflichen Herausforderungen.
Der Unterricht wird in zwei Lernbereiche gegliedert: Gesellschaft sowie Sprache und Kommunikation. Diese beiden Lernbereiche werden benotet und im Zeugnis als zwei Fächer aufgeführt.

Lernbereich «Gesellschaft»
Der Lernbereich Gesellschaft umfasst acht Aspekte, in alphabetischer Reihenfolge: Ethik, Identität und Sozialisation, Kultur, Ökologie, Politik, Recht, Technologie und Wirtschaft. Jeder Aspekt entspricht einem Blickwinkel, unter dem die persönliche, berufliche und gesellschaftliche Realität in den Themen des Schullehrplans bearbeitet wird. Jeder Aspekt enthält Leitgedanken und Bildungsziele. Bei der Behandlung eines Themas ergänzen sich die verschiedenen Aspekte und erlauben einen interdisziplinären Zugang unter verschiedenen Blickwinkeln. Zusätzliche Blickwinkel wie Geschichte, Gender und Nachhaltigkeit erweitern diesen Zugang.

Lernbereich «Sprache und Kommunikation»
Die Bildungsziele im Lernbereich Sprache und Kommunikation beschreiben, welche Sprache und Kommunikationskompetenzen im Unterricht gefördert respektive weiterentwickelt werden. Im Mittelpunkt der Bildungsziele stehen kommunikative Sprachkompetenzen, wie sie im persönlichen, beruflichen und gesellschaftlichen Kontext der Lernenden erforderlich sind. Schwerpunkte hinsichtlich der verschiedenen Berufe und Grundbildungen sind möglich.

Qualifikationsbereich Allgemeinbildung
Der Qualifikationsbereich Allgemeinbildung setzt sich aus folgenden Teilbereichen zusammen:

  • a. bei der drei- und vierjährigen beruflichen Grundbildung aus:
    1. der Erfahrungsnote aus der gesamten beruflichen Grundbildung;
    2. der Vertiefungsarbeit im letzten Jahr der beruflichen Grundbildung;
    3. der Schlussprüfung am Ende der beruflichen Grundbildung.
     
  • b. bei der zweijährigen beruflichen Grundbildung aus:
    1. der Erfahrungsnote aus der gesamten beruflichen Grundbildung;
    2. der Vertiefungsarbeit im letzten Jahr der beruflichen Grundbildung.

Erfahrungsnote
Die Erfahrungsnote setzt sich aus den Semesternoten der beiden Lernbereiche «Sprache und Kommunikation» und «Gesellschaft» zusammen und wird auf eine halbe oder ganze Note gerundet.

Vertiefungsarbeit (VA)
In der Vertiefungsarbeit wenden die Lernenden die in der Allgemeinbildung erworbenen Kompetenzen an. Bewertet werden das Produkt, der Prozess der Erarbeitung und die Präsentation der Vertiefungsarbeit. Die Berufsfachschulen regeln das Verfahren und die Kriterien der Bewertung. Während mehrerer Schulhalbtage arbeiten die Lernenden im Prüfungssemester jeweils drei Lektionen pro Halbtag an der vorgängig definierten Schlussarbeit mit entsprechend formulierten Zielen.

Schlussprüfung
In der Schlussprüfung wird das Erreichen der Bildungsziele und die Beherrschung der Inhalte des Schullehrplans über die gesamte Dauer der beruflichen Grundbildung geprüft. Die Prüfung findet im letzten Semester der beruflichen Grundbildung statt. Sie kann in mündlicher oder schriftlicher Form erfolgen. Die Berufsfachschulen regeln das Verfahren.

4.5 Andere Qualifikationsverfahren

Artikel 17 Absatz 5 des BBG hält fest:
«Die berufliche Grundbildung kann auch durch eine nicht formalisierte Bildung erworben werden; diese wird durch ein Qualifikationsverfahren abgeschlossen.» Und Artikel 33 regelt: «Die beruflichen Qualifikationen werden nachgewiesen durch eine Gesamtprüfung, eine Verbindung von Teilprüfungen oder durch andere vom SBFI anerkannte Qualifikationsverfahren.» Als andere Qualifikationsverfahren gelten Verfahren, die in der Regel nicht in Bildungserlassen festgelegt, aber geeignet sind, die erforderlichen Qualifikationen festzustellen. Diese Verfahren können für besondere Personengruppen standardisiert und in den massgebenden Bildungserlassen geregelt werden (vgl. Artikel 31 BBV). Das Validierungsverfahren ist ein solches ‚anderes Qualifikationsverfahren’.

4.5.1 Der Erfahrung einen Wert verleihen – ein neuer Weg zu einem anerkannten Titel

Das Validierungsverfahren ist ein neuer Weg, um zu einem Abschluss der beruflichen Grundbildung zu gelangen. Eine Behörde anerkennt, dass berufliche Handlungskompetenzen, die eine Person ausserhalb des formalisierten Bildungsgangs erworben hat, einem bestimmten Titel gleichwertig sind. Diese Kompetenzen können durch eine frühere, formale oder nicht formale Ausbildung oder durch Erfahrung erworben worden sein. Ziel ist es, Personen mit langjähriger Praxis und beruflicher Erfahrung einen Abschluss zu ermöglichen und die Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Bildungsgängen und -formen zu verbessern.

Um das Gesetz in die Praxis umzusetzen, entstand 2005 unter der Leitung des damaligen Bundesamts für Berufsbildung und Technologie (BBT, heute SBFI) das nationale Projekt «Validierung von Bildungsleistungen». In Zusammenarbeit mit den Kantonen und den Organisationen der Arbeitswelt OdA wurden die Anforderungen an das Verfahren festgelegt. Auf diese Weise ist der nationale Leitfaden inklusive Zusatzdokumenten entstanden. Er beschreibt das Verfahren, versammelt die wichtigen Dokumente, nennt die Akteure und definiert die Anforderungen an die Prüfungsexpertinnen und -experten.

4.5.2 Das schweizerische Validierungsverfahren im Überblick

Das schweizerische Validierungsverfahren im Überblick
Abbildung 17: Das schweizerische Validierungsverfahren im Überblick
EHB

4.5.3 Notwendige Instrumente und Dokumente

Qualifikationsprofil: Definiert das Anforderungsniveau des Berufs und enthält die Beschreibung aller beruflichen Kompetenzen, über die eine qualifizierte Berufsperson verfügen muss.

Validierungs-Dossier: Hier dokumentiert die Kandidatin/der Kandidat die persönlichen und beruflichen Kompetenzen sowie ihre/seine Allgemeinbildung. Im Dossier wird sichtbar, wie weit die Anforderungen des Qualifikationsprofils für den angestrebten Titel erfüllt sind.

Bestehensregeln: Bestimmen das erforderliche Mindestniveau in einem Kompetenzbereich und das Minimum aller Kompetenzbereiche, die zur Erlangung eines Titels (EFZ oder EBA) erforderlich sind.

Beurteilungsbericht: Dient den Prüfungsexpertinnen und -experten zur Abgabe ihrer Bewertung, die sich aus dem Studium des Dossiers und dem Gespräch mit der Kandidatin/dem Kandidaten ergibt.

Lernleistungsbestätigung: Offizielles Dokument mit den von der Kandidatin/dem Kandidaten beherrschten Kompetenzbereichen und Anforderungsbereichen der Allgemeinbildung, in denen das Qualifikationsniveau erreicht ist und keine weiteren Nachweise oder Prüfungen erbracht werden müssen.

4.5.4 Informationen über laufende Verfahren

Zurzeit werden in verschiedenen Kantonen Verfahren durchgeführt bzw. aufgebaut. Über den aktuellen Stand informiert die Seite www.validacquis.ch.