Beratungspraxis in der Erwachsenenbildung und Antizipationsprobleme
In der Erwachsenenberatung steht die Dimension der Zukunftsorientierung sowohl für die Beratungssuchenden sowie für die Fachpersonen in diesem Bereich besonders im Vordergrund. Für die einen bedeutet es, neue Konfigurationen für sich selbst und die eigene Zukunft zu erstellen; für die anderen heisst es, die Erarbeitung dieser Konfigurationen zu begleiten und eine Öffnungsdynamik für neue Möglichkeiten zu schaffen, ohne dass dabei das Ergebnis vollständig vorhersehbar ist.
Zwei Hauptpunkte charakterisieren die Erwachsenenberatung. Zunächst handelt es sich um eine Dienstleistung zwischen einem Erbringer und einem Empfänger, welche wesentlich von einer sprachlichen Interaktion geprägt ist, in der sich verschiedene Bedeutungsweisen artikulieren. Darüber hinaus ist es ein Unterfangen, das für die betroffenen Akteure grundsätzlich zukunftsorientiert ist.
Die Antizipationsdynamik ist Bestandteil des Lebens jeder einzelnen Person, da es «unmöglich ist, nicht zu antizipieren». In Beratungssituationen steht sie jedoch für die Empfänger und die Fachpersonen in diesem Bereich besonders im Vordergrund. Die Antizipation ist somit eines der wichtigsten Elemente der Beratungsarbeit, der Aufmerksamkeit, der Anliegen und der Tätigkeit von Beraterinnen und Beratern sowie der Empfängerinnen und Empfänger. Die in der Beratungssituation agierenden Personen müssen sich somit die Frage stellen, wie sie durch aktuelle Erfahrungen zur zukünftigen Tätigkeit übergehen und dabei mit der Ungewissheit des Unbekannten umgehen können. Es geht weiter darum, Übergangskonstellationen auszuprobieren, die für die Herausbildung von etwas Neuem „richtungsweisend“ sein können und helfen, eine aktive Rolle zu übernehmen.
Gestützt auf diese Grundlage bezweckt die Studie, eine Auswahl von Beratungspraktiken, die zurzeit in der Forschungsabteilung Berufliche Entwicklung und Weiterbildung am Institut National Supérieur für Agrar-, Lebensmittel- und Umweltwissenschaften in Dijon (Agrosup Dijon) untersucht werden, unter dem Gesichtspunkt des Antizipationsproblems zu analysieren.
Die Studie verfolgt in Bezug auf diese Praktiken folgende Ziele: a) Erkennen von Querschnittsaspekten und Unterschieden dieser Beratungsformen, b) Erkennen, in welchen Modalitäten die Antizipation der Zukunft in der Bedeutungsdynamik der betroffenen Individuen deutlich wird, Ermittlung der Bestandteile der Antizipation und ihrer Erscheinungsform im Leben der verschiedenen Personen (Berater/in bzw. Beratungssuchende/r).
Die Studie erfolgt aus der Perspektive einer Arbeits- und Tätigkeitsanalyse. Die zur Datenerhebung und -analyse angewendeten Methoden beziehen sich auf ethnografische Ansätze und eine semiologische Aktivitätsanalyse, die von der Peirceschen Semiotik beeinflusst ist. Diese ermöglicht es, die Bedeutungsdynamik der betroffenen Akteure zu erkennen.
Durch die Ergebnisse der unterschiedlichen Feldforschung sowie die Gespräche mit den Professorinnen der Gastinstitution konnte der Fachbereich in Bezug auf die Beratungspraktiken und die Dynamik der Antizipation konsolidiert werden. Dadurch wurde ein zusammenfassender Überblick zu den Studien im Bereich der Antizipation verfasst, der in die erarbeiteten Artikel und Präsentationen integriert wurde. Es konnte aufgezeigt werden, welche Elemente die in die Feldforschung einbezogenen Beraterinnen bei der Begleitung ihrer Gesprächspartnerinnen aktivieren, damit diese ihre Zukunftsprojekte besser definieren können (für die Beratung in der beruflichen Weiterentwicklung) oder um einen Verwandlungsprozess zu begleiten, dessen Ergebnis noch ungewiss ist (für landwirtschaftliche Betriebsberatung). Umfassender betrachtet konnten die wichtigen Verbindungen zwischen der Antizipationsdynamik und den Prozessen des lebenslangen Lernens von Erwachsenen besser erkannt werden (in den verlinkten Publikationen aufgezeigt). Alle diese Elemente werden bei der Konzeption und Ausarbeitung der Ausbildungen für Berater und Ausbildner in der Erwachsenenbildung berücksichtigt.