Projekt

Training vs hiring workforce. Der Einfluss ausländischer Arbeitskräfte auf die Entwicklung der Berufsbildung in Genf und Basel-Stadt in den Jahren 1950-1980

Diese Doktorarbeit, bestehend aus einer Untersuchung und einer Analyse historischer Dokumente, beleuchtet den Zusammenhang zwischen zwei zentralen wirtschafts- und sozialpolitischen Themenkomplexen der 1970er Jahre: die Berufsbildung und die Arbeitskräfte aus dem benachbarten Ausland, die ihre Schulbildung nicht in der Schweiz absolviert haben und von ausserhalb einer Landes- oder Kantonsgrenze stammen.

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Einige Studien (Piguet 2002, 2005; Engelage 2009; Eigenmann 2017) legten den Schwerpunkt auf die Aufnahme von Personen mit Migrationshintergrund durch das Bildungssystem oder auf die Chancengleichheit und die Anerkennung von Bildungsabschlüssen. In dieser Studie geht es jedoch nicht darum, wie diese Personen das Bildungssystem nutzen, sondern vielmehr um die Frage, wie die jeweilige kantonale Wirtschaftspolitik durch die Verfügbarkeit ausländischer Arbeitskräfte beeinflusst wurde. Die Gesamtzahl der gering qualifizierten Arbeitskräfte eines Kantons (Grenzgänger/innen, Schweizer Bürgerinnen und Bürger) bildet ein Arbeitskräftereservoir, das den Unternehmen des Kantons zur Verfügung steht und mit dem Arbeitsmarktschwankungen ausgeglichen werden können. Der gewählte Zeitraum (1950-1980) soll repräsentativ für die grossen Phänomene sein, die für das wirtschaftliche Umfeld und die Schweizer Bildungslandschaft prägend waren: das Wirtschaftswunder (Trente Glorieuses), die technologischen Fortschritte, die Bildungsexpansion, die démocratisation des études, die Zunahme der sekundären Schulbildung usw. Was die beiden Kantone betrifft, die in erster Linie miteinander verglichen werden, so sind sie sich in geografischer und wirtschaftlicher Hinsicht sehr ähnlich, und sie verfügen beide über einen grossen Teil ausländischer Arbeitskräfte. Durch die Gegenüberstellung zweier Kantone aus unterschiedlichen Sprachregionen lässt sich ableiten, wie sich das Vorhandensein ausländischer Arbeitskräfte auf die Berufsbildungspolitik in der französischen Schweiz und in der deutschen Schweiz ausgewirkt hat. Analog zu den Untersuchungen von Imdorf, Berner und Gonon (2016) sowie von Berner und Bonoli (2018), die kantonale Unterschiede in der Berufsbildungspolitik aufgezeigt haben, soll der Vergleich der zwei Kantone mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund und doch ähnlichen Merkmalen (hoher Gymnasiastenanteil, geringer Anteil von Personen, die direkt in die berufliche Grundbildung einsteigen) zu neuen Erkenntnissen führen.

Im ersten Teil der Untersuchung wird die Bildungspolitik in Genf und Basel-Stadt in den Jahren der wirtschaftlichen Expansion beschrieben. In diesem Zeitraum wurden in den Sekundarstufen I und II bedeutende Reformen eingeführt (démocratisation des études, Verbreitung von Fachmittelschulen, Orientierungsstufen, duale Berufsausbildung, Berufsmittelschulen usw.).

Im zweiten Teil werden der Fachkräftemangel und die daraufhin formulierten Ziele der Berufsbildungspolitik diskutiert. Es geht insbesondere um die Frage, wie sich die Verfügbarkeit von Grenzgänger-Fachkräften auf die Bereitschaft der Unternehmen ausgewirkt hat, Lernende auszubilden, sowie darauf, wie sich die kantonale Bildungspolitik entwickelt hat. Die Kantone Genf und Basel-Stadt konnten sich in der Zeit der beschränkten Zulassung ausländischer Arbeitskräfte (ab 1963) darauf verlassen, dass freie Stellen in einigen von einheimischen Arbeitnehmern/innen wenig gewählten Branchen durch Grenzgänger/innen besetzt wurden (Baugewerbe, Landwirtschaft, Hotellerie, Hauswirtschaft).

Im dritten Teil folgt auf einen Abriss der allgemeinen Situation im Zeitraum 1950-1980 eine Analyse des damaligen Diskurses (Landwehr 2009, Keller 2011), die zeigt, mit welchen Argumenten die Massnahmen der beiden Kantone begründet wurden. Anhand unterschiedlicher Dokumente (Gesetze, Gesetzesvorlagen, Berichte des Staatsrates, Berichte der Erziehungsdepartemente, Presseartikel) wird untersucht, wie die Standpunkte der verschiedenen Akteure schliesslich zu den bildungspolitischen Weichenstellungen der Kantone geführt haben.

Zum Schluss werden historische Perspektive und aktuelle Situation zusammengeführt, und die Rolle der Lernenden und Führungskräfte aus dem benachbarten Ausland wird unter dem Gesichtspunkt der Konkurrenz und des betrieblichen Wissens im Schweizer Berufsbildungssystem beleuchtet.

Betreuende Dissertation:

Methode
  • Diskursanalyse
  • «Économie des conventions»
Ergebnisse

Ausländische Arbeitskräfte werden als «outside interference» (Busemeyer & Trampusch, 2012, 10) auf die kantonale Bildungspolitik wahrgenommen und analysiert, was sich vor allem in der Ersetzbarkeit einheimischer Lernender durch ausländische Arbeitskräfte zeigt. Die Analyse ergab, dass der zunehmende Einsatz gering qualifizierter ausländischer Arbeitskräfte (ebenso wie ihre massenhafte Ausreise infolge von Beschränkungen des Bundes), der Rückzug von Unternehmen, das Desinteresse junger Menschen an bestimmten traditionellen Berufe der beruflichen Grundbildung und die Rekrutierung von Lernenden innerhalb der ausländischen Bevölkerung zu kompensierenden Massnahmen führen, um die Qualifikation der Arbeitskräfte weiterhin sicherzustellen, darunter die Anlehre, eine verstärkte Unterstützungspolitik, Verbesserungen im Minderjährigenschutz und der Ausbau des Angebots zur beruflichen Weiterentwicklung.