Projekt

School-Workplace Connectivity: Eine explorative Studie zu Wahrnehmungen des beruflichen Lernens und Lehrens in Schule und Ausbildungsbetrieb

Die Integration des schulischen und betrieblichen Lernens und Lehrens (school-workplace connectivity) stellt eine bedeutende Aufgabe dar, deren Umsetzung die Berufsbildung jedoch weltweit immer noch vor komplexe Herausforderungen stellt.

Rido / Fotolia

Obwohl bereits unterschiedliche integrative Lehr- Lernmodelle entwickelt und diverse Reformversuche gestartet wurden, hat sich die Implementierung dieser Initiativen nicht immer als einfach erwiesen und stellt die Beteiligten vor eine Menge noch ungelöster Probleme. Ein entscheidender Faktor dafür, ob die Implementierung solcher Initiativen erfolgreich ist oder nicht, betrifft die Art und Weise, in der die beteiligten Akteure die Integration des schulischen und betrieblichen Lernens und Lehrens wahrnehmen. In der Tat hat dies nicht nur einen Einfluss darauf, wie die Individuen die Informationen aufarbeiten und auslegen, sondern auch darauf, wie sie in der Folge handeln und kommunizieren. In diesem Zusammenhang interpretieren wir die individuelle Art und Weise, wie die Verknüpfung von schulischem und betrieblichem Lernen  wahrgenommen wird als einen impliziten Filter, der sich potenziell auf die Erfahrungen und Handlungen der Hauptakteure des Berufsbildungssystems auswirken kann. Darüber hinaus schlussfolgern wir soziokulturellen Ansätzen folgend, dass diese Akteure eine gemeinsame Auffassung von schulischem und betrieblichen Lernen und Lehren – hin zu einer stärkeren Verknüpfung zwischen den verschiedenen Lernorten anstelle einer blossen Aneinanderreihung von Lernerfahrungen aus voneinander unabhängigen Welten – entwickeln sollten. Im Rahmen unserer Studie werden insbesondere die drei folgenden Schlüsselaspekte der soziokulturellen Auffassung von der Verknüpfung zwischen Schule und Ausbildungsbetrieb berücksichtigt:

  1. Die Notwendigkeit, die dichotomische Interpretation des Verhältnisses zwischen Theorie und Praxis zu überwinden und diese durch eine dialogischere Auffassung von konzeptionellen und angewandten Komponenten des beruflichen Lernens zu ersetzen;
  2. Die Wichtigkeit, das berufliche Lernen weniger als einen in eine einzige Richtung gehenden und in einer bestimmten Reihenfolge aufeinanderfolgenden Prozess zu sehen (Schuleà Arbeitsplatz), sondern diesen als wechselseitigen Austausch zwischen Schule und Ausbildungsbetrieb sowie als zirkulären Lernprozess zu betrachten;
  3. Die besondere Bedeutung des Transfers als Prozess, der sich aus „Rekontextualisierung“ und „Transformation“ zusammensetzt.

Ziel der Studie ist es herauszufinden, wie Lehrpersonen, Berufsbildner und Berufsbildnerinnen sowie Lernende berufliches Lernen und Lehren an den verschiedenen Lernorten des Schweizer Berufsbildungssystems wahrnehmen sowie zu analysieren, inwiefern diese Wahrnehmungen mit der soziokulturellen Auffassung der Verknüpfung von Schule und Ausbildungsbetrieb vereinbar sind.

Methode

Im Rahmen einer ersten qualitativen Studie wurden im Kanton Tessin Interviews mit 10 Berufsfachschullehrkräften, acht betrieblichen AusbildnerInnen und acht Lernenden aus den Bereichen Industrie und Handel der beruflichen Grundbildung geführt. Die Befragten wurden gebeten, ihre persönliche Ansicht darüber, wie berufliches Lernen an den unterschiedlichen Lernorten umgesetzt werden sollte, darzulegen. Im Rahmen der Interviews wurden Diskussionen deskriptiver, narrativer und argumentativer Natur angeregt. Für die Datenanalyse wurden datengeleitete Methoden der Textanalyse (Phänomenographie und Analyse lexikalischer Kookkurrenzen) und theoriegeleitete Verfahren (Inhaltsanalyse) miteinander kombiniert. Eine erste Auswertung der Ergebnisse ergab vier verschiedene Wahrnehmungen des beruflichen Lernens und Lehrens an den unterschiedlichen Lernorten: 1) das berufliche Lernen an den unterschiedlichen Lernorten ist nicht miteinander verknüpft; 2) das berufliche Lernen an den unterschiedlichen Lernorten ist komplementär; 3) das berufliche Lernen  in der Schule und im Ausbildungsbetrieb ist durch die überbetrieblichen Kurse miteinander verknüpft; 4) das berufliche Lernen und Lehren an den unterschiedlichen Lernorten ist ein zirkulärer und integrierter Prozess.

Aus soziokultureller Perspektive können die qualitativen Unterschiede zwischen den verschiedenen Wahrnehmungen als eine progressive Verschiebung von einer eher dichotomischen Auffassung, bei der das berufliche Lernen an den unterschiedlichen Lernorten unverbunden ist, hin zu einer Auffassung, die diesen Prozess als integrierter und verknüpfter beschreibt, betrachtet werden.

Die Schweizer Interviewstudie wurde auch in Australien und Deutschland durchgeführt. Die Vergleichsstudie hat nun zum Ziel, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu eruieren, die bezüglich der individuellen Wahrnehmung der Beteiligten in den jeweiligen Ländern bestehen. Die vergleichende Teilstudie für die Schweiz und Australien wurde vom Schweizerischen Nationalfond mitfinanziert.