Der lange Weg zu einer nationalen Ausbildungsstätte

Die Idee gab es schon lange, doch die Umsetzung liess auf sich warten: 90 Jahre dauerte es, bis eine eidgenössische Institution für die Ausbildung von Lehrpersonen an Berufsfachschulen entstand. 1972 nahm das Schweizerische Institut für Berufspädagogik SIBP seinen Betrieb auf. Ein Blick zurück beleuchtet, warum es so lange brauchte, und was in dieser Zeit geschah.

Am 8. Februar 1974 wohnte Bundesrat Ernst Brugger (rechts hinten) dem Unterricht von Konrad Weber bei. Mit dabei war auch SIBP-Direktor Werner Lustenberger (Fünfter von rechts).
Am 8. Februar 1974 wohnte Bundesrat Ernst Brugger (rechts hinten) dem Unterricht von Konrad Weber bei. Mit dabei war auch SIBP-Direktor Werner Lustenberger (Fünfter von rechts).
Georges Herzog

Von Jolanda Kieliger und Lorenzo Bonoli

Achtzigerjahre des 19. Jahrhunderts: Die Schweizer Wirtschaft  befindet sich in einer Krisensituation. Der Bundesrat gibt deshalb 1883 eine «Enquête industrielle» in Auftrag. Sie soll Wege aufzeigen, wie diese Krise zu bewältigen ist. In seinem Gutachten dazu schlägt Heinrich Bendel, ehemaliger Direktor des Industrie- und Gewerbemuseums in St. Gallen, eine Reihe von Massnahmen vor, welche die schweizerische Berufsbildung wiederbeleben sollen. Darin betont er auch die «Nothwendigkeit» der «Fürsorge für die Heranbildung geeigneter und zahlreicher Lehrkräfte für die gewerblichen Fortbildungsschulen». Angesichts der begrenzten Anzahl auszubildender Personen sei es nicht sinnvoll, von allen Kantonen zu verlangen, eigene Institutionen zu gründen. «So bleibt kein anderer rationeller Ausweg vor, als dass der Bund sich dieser Aufgabe mit seinen Mitteln annehme», schlussfolgert Bendel. Als Standorte schlägt er das Technikum Winterthur und eine zu definierende Institution in der Westschweiz vor.

Erste Schritte eingeleitet

Rückblickend lässt sich hervorheben, wie klar bereits in dieser Schrift die Idee einer einzigen, vom Bund finanzierten Institution mit Sitzen in den verschiedenen Landesteilen der Schweiz formuliert wird. Die Schritte auf dem Weg zu diesem Ziel nehmen jedoch mehrere Jahrzehnte in Anspruch. Die ersten Bestimmungen beschränkten sich nämlich darauf, dass die Ausbildung von Lehrpersonen an Berufsfachschulen durch den Bund finanziert werden soll, ohne dafür eine eidgenössische Institution vorzusehen, wie es Bendel empfiehlt. Die Wichtigkeit einer solchen pädagogischen Ausbildung wird von der Politik zunehmend ernst genommen. Ebenso wird anerkannt, dass nur der Bund eine zentrale Koordinationsrolle übernehmen kann. Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit BIGA führt als Vorgängerinstitution des heutigen Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation SBFI ab 1943 die ersten bundesweiten Kurse für Berufsfachschullehrpersonen ein. In den 1960er-Jahren wird mit der Revision des Berufsbildungsgesetzes ein weiterer Schritt vollzogen: Die Ausbildung von haupt- und nebenamtlichen Lehrpersonen an den gewerblichen Berufsfachschulen und Lehrwerkstätten wird dem Bund übertragen.

Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit BIGA führt ab 1943 die ersten bundesweiten Kurse für Berufsfachschullehrpersonen ein.

Bundesrat gibt grünes Licht

Bis zur Gründung der heutigen EHB vergehen weitere Jahre. In dieser Zeit werden die politischen Stimmen immer lauter, die eine nationale Institution für die Gewerbelehrerausbildung fordern – unter anderem auch dank der Liestaler Arbeitstagung des Schweizerischen Verbandes für Gewerbeunterricht. Nach dieser Tagung werden mehrere Vorstösse dazu eingereicht. Die Ausgestaltung des nationalen Instituts wird auf Bundesebene immer konkreter, bis es am 17. Mai 1972 zum «Bundesratsbeschluss über die Errichtung des Schweizerischen Instituts für Berufspädagogik» kommt. Das neu geschaffene Schweizerische Institut für Berufspädagogik SIBP ist dem BIGA angegliedert. Es öffnet seine Tore in einem kleinen Holzpavillon des Abendtechnikums an der Morgartenstrasse 2 in Bern. Am 16. Oktober 1972 beginnen die ersten Klassen mit insgesamt 41 Studierenden den Unterricht. Ein Jahr später folgen die beiden ersten Klassen in Lausanne. Und 1979 wurde die Tessiner Filiale in den Räumlichkeiten der Berufsfachschule in Trevano eröffnet.

Der SIBP-Neubau in Zollikofen – gezeichnet vom Schweizer Künstler Godi Leiser.
Der SIBP-Neubau in Zollikofen – gezeichnet vom Schweizer Künstler Godi Leiser.
Godi Leiser

Endlich in eigenen Räumlichkeiten

Im Mai 1972 gibt der Bundesrat grünes Licht für ein nationales Institut.
Amtliche Sammlung

Im Mai 1972 gibt der Bundesrat grünes Licht für ein nationales Institut. In den folgenden Jahren wird das SIBP ausgebaut. Zusätzliche Mitarbeitende werden angestellt und eigene Räumlichkeiten bezogen. 1986 wird schliesslich der Hauptsitz in Zollikofen eingeweiht. Im lichtdurchfluteten Neubau entsteht rasch ein geschäftiges und soziales Klima. Mitarbeitende, Dozierende und Studierende treffen sich im Gebäude und essen zusammen auf der «Piazza». Der ehemalige SIBP-Direktor Werner Lustenberger erzählt in seinem Buch, das er 2010 über das SIBP schrieb: «Im AtariFanklub fanden sich Interessierte zusammen, um über Informatikprobleme zu diskutieren, und im November 1986 organisierte die Studentenschaft einen ersten Ball. Das Urteil war einhellig: Im eigenen Hause fühlte man sich ausgesprochen wohl.»

    Wandel zur Hochschule

    In den ersten Jahren des neuen Jahrtausends schliesslich erlebt die Institution zwei wichtige Meilensteine ihrer Geschichte: 2007 wird das SIBP zu einem eigenständigen Hochschulinstitut, das sein Mandat direkt vom Bundesrat erhält. Und 2021 verabschieden die Eidgenössischen Räte ein neues Bundesgesetz, mit dem das Institut in eine Hochschule umgewandelt wird: die Eidgenössische Hochschule für Berufsbildung EHB.

     

    • Jolanda Kieliger, MA, wissenschaftliche Mitarbeiterin MSc in Berufsbildung, EHB 
    • Prof. Dr. Lorenzo Bonoli, Senior Researcher Forschungsfeld institutionelle Bedingungen der Berufsbildung und Studiengangleiter MSc in Berufsbildung, EHB

    Quellen

    • Lustenberger, W. (2010). Das Schweizerische Institut für Berufspädagogik. Vorläufer, Gründung, Aufbau. Bern: hep.
    • Bendel-Rauschenbach, H. (1883). Zur Frage der gewerblichen Erziehung in der Schweiz. Studie. Winterthur: Bleuler-Hausheer.

    Kurioses aus den Anfangsjahren

    Der SIBP-Gründungsdirektor Werner Lustenberger berichtet: «BIGA-Direktor Jean-Pierre Bonny erhielt per Post einen schwarzen Aktenkoffer mit Anhängeradresse und unbekanntem Absender. Flugs stellte er das Ding auf den Balkon vor seinem Büro und liess es von der Polizei öffnen. Zum Vorschein kam der reichlich dokumentierte Rekurs eines Sipianers [Anm. d. Red.: SIBP-Absolvent], der bei der Schlussprüfung nicht genügt hatte.» (S. 70)