«Lernen sollte mit Freude verbunden sein»

Mathias Morgenthaler berät Menschen bei beruflichen Aus- und Umstiegen. Er ist beeindruckt von jenen, die etwas Neues anpacken, um das Leben zu spüren. Dass sich manche mit lebenslangem Lernen schwertun, hängt für ihn damit zusammen, dass wir in der Schule unsere Interessen zu wenig ergründen können.

Mathias Morgenthaler Portrait
Als Coach hat Mathias Morgenthaler mit Menschen zu tun, die beruflich etwas Neues wagen wollen.
zVg

Interview: Peter Bader, freier Mitarbeiter Kommunikation EHB

Herr Morgenthaler, Sie haben über 1000 Interviews mit Menschen geführt, die sich beruflich verändert haben. Welche Laufbahn hat Sie am meisten beeindruckt?

Da kommt mir  spontan Gabriela Taugwalder in den Sinn, ursprünglich eine erfolgreiche Juristin. In diesem Job lebte sie aber nur eine Seite von sich aus, sie hatte sich immer auch für Psychologie interessiert. Mit über 50 Jahren startete sie dann eine zweite Karriere als Hypnosetherapeutin. Mich beeindruckt, wenn Menschen etwas ganz Neues wagen, um sich wieder lebendig zu fühlen.

Was stösst den Wunsch nach beruflicher Veränderung an?

Leidensdruck oder Sehnsucht. Leidensdruck wirkt stärker, führt uns aber nicht zwingend näher zu uns. Die Sehnsucht ist persönlicher, aber meistens auch weniger greifbar. Viele von uns erlauben sich leider nicht, sich auszumalen, wie sie gerne arbeiten und leben möchten. Sie finden jede Menge gute Gründe, die sie gegen ihre Träume ins Feld führen.

Was braucht es, damit das nicht passiert?

Den Kontakt zu sich selbst und Ehrlichkeit. Wir spüren, ob ein Job bloss vorübergehend anstrengend ist oder wir im falschen Film sind. Es kann hilfreich sein, mit jemandem über solche Unsicherheiten zu sprechen und die eigenen Wünsche zu formulieren. Am besten mit jemandem, der nicht glaubt, uns zu kennen. Kolleginnen oder Freunde warnen in solchen Situationen oft davor, einen sicheren und gut bezahlten Job aufzugeben.

Mit gutem Grund: Wir arbeiten ja auch, um davon leben zu können.

Es geht meistens nicht ums Geld, sondern um Glaubenssätze, etwa um die Überzeugung, dass man Dinge durchziehen sollte und Sicherheit wichtiger ist als Lebendigkeit; oder dass etwas, das nicht anstrengend ist, keine Arbeit sein kann. Wir sind da alle stark durch die Werte unserer Herkunftsfamilie geprägt. Im Coaching unterstütze ich Menschen dabei, ihre Glaubenssätze zu entkräften und das Eigene herauszuschälen.

Der Berufungsspezialist

Mathias Morgenthaler, 47, studierte Neuere deutsche Literatur und Kommunikationswissenschaften und arbeitete danach als Journalist. Er publizierte im «Bund» und «Tages-Anzeiger» über 1000 Interviews mit Menschen, die beruflich etwas Neues gewagt haben. Als selbstständiger Coach berät er Menschen bei beruflichen Aus- und Umstiegen. Er ist Autor mehrerer Bücher und Mitgründer eines Bildungsunternehmens, das Coaches sowie Mentorinnen und Mentoren ausbildet. Zudem ist er als Referent tätig. Er lebt mit seiner Tochter und seiner Partnerin in Bern.

Auch die ganze Berufswelt verändert sich laufend: Für heutige Berufskarrieren wird das lebens­lange Lernen immer wichtiger. Was verstehen Sie darunter?

Heute bleiben wir eigentlich ein Leben lang Anfängerinnen und Anfänger, weil Wissen schnell veraltet. Es ist nicht mehr so, dass wir unseren Rucksack in der Ausbildung füllen und dann eine Berufskarriere lang davon zehren. Wir dürfen laufend dazulernen. Für viele ist das sehr belebend – man lernt sich selbst dadurch immer wieder neu kennen. Für manche sind Weiterbildungen allerdings Strafaufgaben, die sie nur machen, um ihren Job zu behalten.

Wie kann es so weit kommen?

Viele, die heute über 40 Jahre alt sind, mussten in der Schule in allen Bereichen gut sein. Es ging vor allem da­rum, möglichst wenig Fehler zu machen. Die eigenen Interessen spielten keine grosse Rolle. Sie lernten, Erwartungen zu erfüllen, und entwickelten kein Gefühl dafür, was sie wirklich wollten. Da erstaunt es wenig, dass viele in einem Beruf gelandet sind, der sie nicht erfüllt. Ich sage meiner Tochter manchmal: Bring auch mal eine schlechte ­Note nach Hause, dann weisst du, was dich nicht interessiert! Lernen sollte immer mit Neugierde und Freude verbunden sein.

Ist die Lernatmosphäre in den heutigen Schulen wirklich anders?

Nicht überall, aber es werden gerade viele Schulen gegründet, in denen Kinder mehr Raum bekommen, um zum Beispiel in Projektarbeiten den eigenen Interessen auf den Grund gehen zu können: Lernfreiräume statt Frontalunterricht. Aber klar, bis das in der gesamten Volksschule ankommt, wird es noch dauern.

«Unternehmen werden ihre Arbeit grundsätzlich neu organisieren müssen, weil sich vor allem junge Leute nicht mehr in ein enges Jobkorsett zwängen lassen.»
Mathias Morgenthaler

Wie können Unternehmen die Lust am lebenslangen Lernen ihrer Mitarbeitenden fördern?

Indem sie zum Beispiel ihre Jobprofile erweitern und ein IT-Spezialist auch mal einen Kundenanlass organisieren kann, wenn er dafür das nötige Talent besitzt. Unternehmen werden ihre Arbeit grundsätzlich neu organisieren müssen, weil sich vor allem junge Leute nicht mehr in ein enges Jobkorsett zwängen lassen. Die Outdoor-Firma Transa stellt Leute ein, die aufgrund ihrer Werte zur Firma passen. Erst danach ergibt sich ihr konkretes Tätigkeitsfeld. Eine solch offene Unternehmenskultur ermöglicht Entwicklung und sorgt für hohe Motivation.

Sind Sie persönlich immer offen für Neues?

Ich bin ein neugieriger Mensch, der die Abwechslung liebt. Als Journalist hatte ich das Privileg, immer wieder in neue Welten einzutauchen und dazuzulernen. Dass ich mich als Autor und Coach selbstständig gemacht habe, war trotzdem eine gute Entscheidung: Ich habe meine Komfortzone verlassen und mich mit Unsicherheit angefreundet – das hält lebendig.

War die Selbstständigkeit Ihre beste berufliche Entscheidung?

Meine wichtigste Weichenstellung war das Jahr zwischen Matura und Studium. Ich wollte praktisch arbeiten und mein eigenes Geld verdienen. Die Arbeit bei Publicitas im Telefonverkauf, die Kontakte, die ich dabei knüpfte, und der Chef, der mich förderte, waren für meinen weiteren Werdegang wichtiger als die Matura und das Studium zusammen.

Literatur

Morgenthaler, M. (2017). Out of the Box – Vom Glück, die eigene Berufung zu leben. Bern: Zytglogge.

Morgenthaler, M. & Zaugg, M. (2013). Aussteigen – Umsteigen. Wege zwischen Job und Berufung. Bern: Zytglogge.

www.beruf-berufung.ch