Die Rolle der Empathie in der Lehre

Die Beziehung zwischen Ausbildner:in und Lernender:m ist zentral und gilt als Schlüssel für eine erfolgreiche Berufsbildung. Lernende in einem neuen Arbeitsumfeld zu betreuen, steht dabei im Mittelpunkt und ist es wert, genauer betrachtet zu werden. Eine Studie der EHB beleuchtet den Stellenwert der Empathie in dieser Beziehung, die den Alltag einer Berufslehre prägt.

Fotografie von einer Gehhilfe Unterwasser
Fotografie von Andri Vöhringer, Abschlussjahr Lehrgang Gestalter:in HF Fotografie, Schule für Gestaltung St. Gallen

Von Marina Fiori, Laure Tremonte und Florinda Sauli

Grundsätzlich sollte es Ausbildnerinnen und Ausbildnern, die sich in die Lernenden hineinversetzen können, leichter fallen, ihre Führungs- und Aufsichtsrolle wahrzunehmen. Aber: Gibt es auch Situationen, in denen zu viel Empathie effizientes Arbeiten verhindert und sogar schädlich ist für die Gesundheit der Ausbildner:innen?

Empathie – auf den Punkt gebracht

Die Definition von Empathie ist nach wie vor umstritten. Die Grundlage für Empathie ist die Fähigkeit, sich in eine andere Person hineinzuversetzen, ihre Emotionen zu erkennen und nachzuempfinden. In der Literatur herrscht Einigkeit darüber, dass Empathie ein positives Phänomen ist, dessen Fehlen schon fast als pathologisch bezeichnet werden kann. Allerdings wird der Begriff oft mit anderen Begriffen wie Mitgefühl und Gefühlsansteckung – also den positiven und negativen Aspekten der Empathie – verwechselt. Mitgefühl lässt sich als Verständnis für die emotionale Reaktion eines anderen Menschen beschreiben, jedoch ohne persönlich involviert zu sein: Man leidet um der anderen Person willen, aber nicht mit ihr. Mitgefühl geht mit prosozialem Verhalten und der Motivation einher, einer anderen Person zu helfen.

Gefühlsansteckung hingegen ist durch mangelnde Differenzierung zwischen sich selbst und einer anderen Person geprägt; man merkt also nicht, dass die Emotion, auf die man sich einlässt, tatsächlich nicht die eigene ist. Gefühlsansteckung entsteht oft verbunden mit dem Wunsch, sich aus einer Situation zurückzuziehen, um sich vor zu intensiven negativen Gefühlen zu schützen.

Grundvoraussetzung für eine gute Arbeitsbeziehung

Forscherinnen der EHB haben zehn betriebliche Berufsbildner:innen – je fünf Frauen und Männer – zu ihren Vorstellungen von Empathie und zur Rolle der Empathie zwischen Berufsbildnerinnen und -bildnern sowie Lernenden befragt. Die Befragten stammten aus dem Gesundheitswesen, der Dienstleistungsbranche und dem Baugewerbe. Mithilfe von halbstrukturierten Interviews versuchten die Forscherinnen, Antworten auf die nachfolgend beschriebenen Fragen zu erhalten.

Wie entsteht Empathie in der Beziehung zwischen Lernenden und Ausbildenden? Aus den Interviews geht hervor, dass Empathie eine spontane Regung ist. Die Befragten beschreiben ihre empathischen Reaktionen als natürlich und sagen, Empathie sei eine Grundvoraussetzung, um eine gute Arbeitsbeziehung zu den Lernenden zu entwickeln.

Person mit Tauchermaske und Schnorchel in dunklem Raum
Fotografie von Andri Vöhringer, Abschlussjahr Lehrgang Gestalter:in HF Fotografie, Schule für Gestaltung St. Gallen

Eine weitere Frage bezog sich auf die Wirksamkeit von Empathie für die Gestaltung der Beziehung. Die Befragten halten Empathie grundsätzlich für hilfreich. Dies sei aber nicht der Fall, wenn Empathie nicht auf Gegenseitigkeit beruhe und die Lernenden ihr Verhalten nicht hinterfragten. Empathie ist auch dann nicht hilfreich, wenn die Berufsbildnerin oder der Berufsbildner sie nicht kontrollieren kann – sie also in Gefühlsansteckung übergeht – oder wenn dadurch die berufliche Rolle als Berufsbildner:in beeinträchtigt wird.

Wenn sich Empathie als nicht zielführend erweist, stellt sich die Frage, welche Beziehungsstrategien sonst angewandt werden können. Die Teilnehmenden der Studie setzen verschiedene Strategien ein. Insbesondere fragen sie andere Personen wie Kolleginnen und Kollegen oder Berufskommissarinnen und -kommissare um Rat, oder aber sie nutzen persönliche Ressourcen: Sie relativieren das Problem oder nehmen Abstand von einer Problemsituation mit einer Lernenden oder einem Lernenden. Eine zusätzliche hilfreiche Strategie besteht darin, die Haltung gegenüber der Lernenden oder dem Lernenden zu ändern, also beispielsweise die eigene Führungsrolle stärker wahrzunehmen oder zum formalen Rahmen zurückzukehren und sich dabei auf objektive Elemente aus den Bildungsplänen zu stützen.

Manchmal eine zu grosse Bürde

Befragte, die ihr empathisches Verhalten als «ausbaufähig» beschreiben, geben an, mehr in die Pflege ihrer Beziehung zu den Lernenden investieren zu müssen. Personen, die ihr empathisches Verhalten als natürlich beschreiben, beschweren sich hingegen nicht über den Aufwand für die Beziehungspflege. Sie investieren sogar zusätzlich Ressourcen und Zeit – auf Kosten ihres Privatlebens. Dieser Aspekt sollte unbedingt berücksichtigt werden, wenn es darum geht, das Wohl von Ausbildnerinnen und Ausbildnern sowie Lernenden zu gewährleisten.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Studie die wichtige Rolle der Empathie in der Beziehung zwischen Ausbildnerinnen und -bildnern sowie Lernenden in der Berufsbildung aufgezeigt hat. Dies sollte bei der Entwicklung künftiger Ausbildungsangebote berücksichtigt werden. Unter anderem förderten die Interviews den tiefen Wunsch zutage, die Lernenden, «die einmal das Ruder übernehmen werden», optimal zu begleiten und ihre beruflichen Erwartungen bestmöglich zu erfüllen. Weitere Untersuchungen werden sich damit befassen, wie sich die empathische Anteilnahme der Ausbildnerinnen und Ausbildner auf das Wohlbefinden und den beruflichen Erfolg der Lernenden auswirkt.