«Wir brauchen keine Extrawurst»

Susan Conza fördert in ihrer Firma Lernende mit Asperger-Syndrom. Botengänge auf die Post sind für manche keine Selbstverständlichkeit. Wichtig sei eine klare Kommunikation, sagt Conza – und ortet Handlungsbedarf bei Brückenangeboten zwischen Schule und Lehre, um Asperger-Betroffenen ihren beruflichen Weg zu erleichtern.

Susan Conza steht in einem Raum mit einigen beschäftigten Menschen im Hintergrund
Susan Conza erfuhr erst mit 32 Jahren, dass sie an Asperger leidet.
EHB/Ben Zurbriggen

Von Peter Bader

Lange war da nur dieses diffuse Gefühl, anders zu sein, nicht dazuzugehören. Oft traf sie nicht den richtigen Ton, war zu direkt und unverblümt im Umgang mit wichtigen Kundinnen und Kunden. Auch in der Kleiderwahl lag sie bisweilen falsch: zu festlich für den normalen Arbeitsalltag, zu leger für wichtige Geschäftstermine. Erst mit 32 Jahren erhielt Susan Conza die Diagnose: Sie leidet am Asperger-Syndrom, einer Störung von Nervenzellen im Gehirn, die sich in Problemen bei der sozialen Interaktion zeigt. «Menschen mit Asperger verfügen kaum über Gestik und Mimik, sodass man ihnen nicht ansieht, ob sie einem Gespräch folgen», sagt die heute 49-Jährige. «Wir haben Probleme, uns in andere hineinzuversetzen. Wir müssen lernen, dass Gespräche ein Hin und Her sind und lange Monologe befremdend wirken auf Neurotypische, wie wir die ‹Normalen› nennen.»

Fokussiertes Arbeiten

Die Diagnose lieferte Susan Conza die Erklärung für ihre diffusen Gefühle. Da stand sie aber bereits mitten im Arbeitsleben. Sie wuchs in Zürich auf und studierte Wirtschaftsinformatik, weil das Gebiet «klare Prozesse und geschlossene Systeme enthält». Als sie sich selbstständig machte, erinnerte sie sich an ihre erste Stelle nach dem Studium. Dort seien wohl einige Mitarbeitende vom Asperger-Syndrom betroffen gewesen. «Mir gefiel dieses fokussierte, konzentrierte Arbeiten in einer Atmosphäre mit begrenzter sozialer Interaktion.» Deshalb stellte sie selber Asperger-Betroffene ein, auch Lernende. Und stiess damit auf grosses Interesse: Viele Eltern meldeten sich, auch die Invalidenversicherung klopfte bei ihr an. «Für Jugendliche mit körperlichen oder psychischen Einschränkungen gibt es viele Brücken- und Lehrangebote. Für jene mit Asperger gibt es solche kaum. Das müsste man ändern.»

«Ich kann den Lernenden nicht einfach sagen: Das ist ein wichtiger Kunde. Ich muss ihnen stattdessen die Konsequenzen für unsere Firma aufzeigen, wenn wir nicht pünktlich abliefern.»

«Akzeptanz ist gestiegen»

Sie setzt sich nach wie vor dafür ein: In ihrer Kommunikations- und Branding-Agentur twofold in Zürich sind rund die Hälfte der 60 Mitarbeitenden vom Asperger-Syndrom betroffen. Dazu gehören alle 22 Lernenden. «Wichtig ist eine klare Kommunikation», sagt Susan Conza. «Ich kann den Lernenden nicht einfach sagen: Das ist ein wichtiger Kunde. Ich muss ihnen stattdessen die Konsequenzen für unsere Firma aufzeigen, wenn wir nicht pünktlich abliefern. So erst verstehen sie die Dringlichkeit des Auftrags.» Sie übt mit ihnen Gesprächsführung und auch schon mal, wie man auf der Post ein Paket aufgibt. Denn die Post ist ein Ort mit vielen optischen Reizen, was für Menschen mit Asperger ein Problem ist.

Viele ihrer Lernenden schaffen den Sprung in die «normale» Arbeitswelt. «Wir begleiten sie an Bewerbungsgespräche, wir bieten auch Coachings an für ihre neuen Vorgesetzen. Wir wollen Ängste abbauen und zeigen, dass wir keine Extrawurst brauchen.» Im Zuge der Diversity-Diskussionen der letzten Jahre sei die Akzeptanz von Personen mit Asperger gestiegen. Auch dass Homeoffice und Distance-Learning durch die Pandemie besser etabliert sind, sei für Asperger-Betroffene hilfreich.

In ihrer Familie ist Susan Conza in der Mehrheit: Von ihren vier Geschwistern sei nur eine Schwester neurotypisch. «Sind wir zusammen, kommt sie sich wohl manchmal ein bisschen fremd vor», sagt sie und schmunzelt.

  • Peter Bader, freier Redaktor, Kommunikation EHB