Im Spannungsfeld von Messbarkeit und Wirksamkeit

Internationale Berufsbildungszusammenarbeit soll Länder dabei unterstützen, effiziente und arbeitsmarktorientierte Berufsbildungssysteme aufzubauen. Das in der Schweiz erfolgreich gelebte duale Modell ist dabei immer wieder Vorbild. Die Umsetzung aber ist in vielen Ländern schwierig. Es braucht insbesondere das entsprechende Mindset.

Illustration von Fanny Gyorgy, erstes Studienjahr Höhere Fachschule für Comic und Illustration in Genf
Illustration von Fanny Gyorgy, erstes Studienjahr Höhere Fachschule für Comic und Illustration Genf
EHB

Von Emanuel Wüthrich

Die Berufsbildung sowie die kleinen und mittleren Unternehmen machen die Schweizer Wirtschaft robust und anpassungsfähig. Davon profitieren wir in der Schweiz. Das nehmen auch andere Regierungen wahr und bemühen sich darum, in ihren Ländern die Kompetenzen mithilfe der Berufsbildung auszubauen.

Das duale Ausbildungsmodell hat sich dabei als Erfolgsmodell behauptet, weil die jungen Menschen damit Kompetenzen aufbauen, die auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden – vorausgesetzt, die Bildungspläne werden mit Wirtschaftsverbänden erstellt, wie dies in der Schweiz oder in Deutschland und Österreich der Fall ist.

Grundsätzlich hat nichts keine Wirkung. Oft ist allein die Auseinandersetzung mit einer anderen Kultur inspirierend und verändert innere Repräsentationen und Konzepte.

Für eine erfolgreiche Berufsbildung kommt es auf die bekannten Erfolgsfaktoren wie zum Beispiel die Relevanz und Lesefreundlichkeit des Bildungsplans, den wert­schätzenden Umgang mit Lernenden, die Durchlässigkeit des Systems oder die Verzahnung von Praxis und Theorie an. Aber die Erfahrung zeigt: Der Teufel liegt dabei im Detail. Werden die Curricula mit Arbeiterinnen und Arbeitern oder mit Expertinnen und Experten des Berufs erstellt? Verzahnt das berufliche Lernen Theorie und Praxis wirkungsvoll oder eher pro forma? Wird den Lernenden zugemutet, selbstständig Aufträge zu erfüllen? Ist die Arbeits- und Lernatmosphäre motivierend? Werden Haltungen bewusst aufgebaut, besprochen und evaluiert? Und in einem weiteren Kontext: Ist die Berufsbildung gesellschaftlich anerkannt? Besteht grundsätzlich Vertrauen zwischen Staat und Wirtschaft? Haben die Stakeholder die gleichen Ziele? Besteht eine Kompromisskultur?

Höchst motiviert nach Kuba zurückgekehrt

In Anbetracht der Vielfalt der Erfolgsfaktoren und der grundsätzlichen Schwierigkeiten, die Change-Prozesse mit sich bringen – im interkulturellen Kontext noch mehr –, stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit von internationalen Berufsbildungsprojekten. Grundsätzlich hat nichts keine Wirkung. Oft ist allein die Auseinandersetzung mit einer anderen Kultur inspirierend und verändert innere Repräsentationen und Konzepte.

Die Vertreter/-innen der kubanischen Delegation, die im Rahmen eines von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit finanzierten und vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen umgesetzten Projekts von der EHB und der Berner Fachhochschule zu einer Studienwoche in die Schweiz eingeladen wurden, waren zutiefst beeindruckt: von der Organisation und der Art, wie die Berufsbildung hier funktioniert, und von der pädagogischen Haltung der Berufsbildenden, die sie in der Schweiz beobachtet haben.

Da ist in einer Woche viel passiert. Veränderungen auf der inneren Ebene gehen jenen auf der äusseren Ebene voraus. Die Vertreter/-innen sind zurück in Kuba und höchst motiviert, die eigene Berufsbildung voranzubringen.

Der Schlüssel zur Veränderung

Gemessen werden Projekte in der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit aber an beobachtbaren und messbaren Wirkmechanismen und an vorgängig definierten Indikatoren. Dies ist jedoch gerade im Kontext von Projekten, die eine Verhaltensänderung anstreben, nicht immer geeignet. Wir lernen als ganzheitliche Wesen, wie es schon Pestalozzi formulierte, ständig auf den Ebenen Kopf (Wissen), Herz (Haltungen) und Hand (Fähigkeiten/ Fertigkeiten). Unsere Gefühle und tiefer liegenden Motive (Herzebene) bewegen uns. Wenn hier Veränderungen stattfinden, zeigen sich diese früher oder später auch auf der sichtbaren Ebene.

Motivation und Emotionen sind also der Schlüssel zur Veränderung, aber darauf sind die Projekte noch zu wenig ausgerichtet. Deshalb stellt sich die Frage, wie nachhaltig sie sind.

Eine Illustration von Tania Perez, welche drei Augen in Sprechblasen darstellt.
Illustration von Tania Perez, erstes Studienjahr Höhere Fachschule für Comic und Illustration in Genf
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Selbstverantwortung führt zu Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit ist das Resultat von Systemen, die funktional und anpassungsfähig sind. Diese konstitutiven Faktoren jeder Evolution müssen ständig überprüft werden. Funktionale Systeme werden vor allem dort aufgebaut, wo Menschen gemeinsam mit Wissen, Verstand, Herzblut, Umsicht und Selbstverantwortung arbeiten.

Projekte in der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit zielen meist auf den Transfer von Wissen, Knowhow, Instrumenten und Methoden ab. Doch diese Bereiche könnten die Verantwortlichen vor Ort eigentlich selber entwickeln, hätten sie das entsprechende Gefühl von Empowerment und Ownership. Herausfordernd ist also nebst den oft begrenzt verfügbaren Mitteln das Mindset. Eigenverantwortlich, zusammen, mutig, verbindlich, innovativ und realistisch etwas aufzubauen und mitzugestalten, ist ein Mindset, das in manchen politischen und gesellschaftlichen Systemen nur schwer entwickelt werden kann. Dieses Mindset nennt sich auch Entrepreneurship und beschert der Schweiz eine innovative, anpassungsfähige und resiliente Berufsbildung und Wirtschaft sowie eine integrative Gesellschaft. Unter anderem dafür steht die Schweiz in der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit.

Jedes Mindset ist veränderbar, wenn man am Bewusstsein und an einem ehrlichen Blick auf sich und die Dinge arbeitet und sich an der Funktionalität orientiert. Das fördert eine effizientere und nachhaltigere internationale Berufsbildungszusammenarbeit.

  • Emanuel Wüthrich, MSc, Senior Advisor und Senior Lecturer Internationale Beziehungen, EHB