«Wer nichts mehr lernt, wird alt»

Anfang der 1990er-Jahre machte Andrea Liistro eine Lehre als Optikerin. Seit ein paar Monaten unterrichtet sie im gleichen Schulzimmer, im dem sie damals sass. Beruflich hat sie sich seit ihrer eigenen Lehre laufend weitergebildet. Sie ist überzeugt: Das hat sie verändert und hält sie jung.

Andrea Liistro Portrait
Andrea Liistro hat nicht nur in der Optik den Durchblick – sie fordert sich immer wieder heraus und will Neues lernen.
EHB / Ben Zurbriggen

Von Lucia Probst

«Nach jeder Ausbildung sage ich mir, jetzt ist es die Letzte. Dann ergibt sich wieder etwas und ich bin schon wieder mittendrin.» Coaching, Mentoring, Wirtschaftspsychologie: «Ich bin noch an vielem interessiert», sagt Andrea Liistro.

Die 50-Jährige sitzt an einem Pult in Zimmer 401 an der Technischen Berufsschule Zürich. Hinter ihr eine orange Wand voller Brillenfassungen, neben ihr zwei kleine Tische. Es sieht aus wie in einem Optikgeschäft. Hier übt Andrea Liistro mit den Lernenden, wie sie ihre Kundschaft beraten können.

Erst seit ein paar Monaten unterrichtet sie angehende Optiker/-innen in Berufskunde. Vor 30 Jahren sass sie selbst in diesem Schulzimmer. Heute hat sie einen Bachelor in Optometrie und arbeitet hauptberuflich in einem Optikgeschäft in Zürich. Sie sei dort «das Mami des Betriebs». Andrea Liistro führt ein 12-köpfiges Team, darunter sechs Lernende. Und als Spezialistin fürs Vermessen und für Korrekturen am Auge ist sie die Frau für die komplexen Fälle: etwa, wenn es um Kontaktlinsen­anpassungen, schwierige Brillenfragen oder Reklamationen geht. «Ich suche gerne nach Lösungen», sagt sie. «Es gibt immer eine. Und es interessiert mich, sie zu finden.»

«Es hat etwas Gefährliches»

Interesse. Das hat sie beruflich in den letzten 30 Jahren immer wieder angetrieben. Sie absolvierte nach der Lehre die Höhere Fachschule für Augenoptiker/-innen und machte einen Bachelor in Optometrie. Auch betriebswirtschaftlich bildete sie sich weiter und überlegte sich, ein Geschäft zu übernehmen.

Schliesslich wurde sie als Ausbildnerin aktiv. Dreieinhalb Jahre leitete sie am Kurszentrum für Augenoptik in Starkirch-Wil überbetriebliche Kurse, bevor sie wieder in die Praxis zurückkehrte und nun zudem einen halben Tag pro Woche unterrichtet. «Es gefällt mir, mein Wissen weitergeben zu können», sagt sie und blickt auf das Augen-Vermessungsgerät, das auf dem Tisch steht.

«Es gefällt mir, mein Wissen weitergeben zu können.»
Andrea Liistro

Mindestens 80 Prozent im Job und daneben oft gleichzeitig mehrere Aus- und Weiterbildungen: «Warum habe ich das gemacht?», habe sie sich manch­mal gefragt. Immer dran zu sein, habe «etwas Gefährliches». Doch sie habe auch gelernt, strukturiert zu arbeiten und Prioritäten zu setzen: «Man kann die Fünf auch mal gerade sein lassen.»

Für ihre Tätigkeit als Leiterin von überbetrieblichen Kursen hat sie sich an der EHB weitergebildet. «Menschlich brachte mich das sehr weit», findet Andrea Liistro. «Ich bin viel flexibler geworden, habe mehr Selbstvertrauen und reflektiere, was ich tue. Zudem habe ich heute methodisch-didaktisch viel mehr Routine und kann mich besser durchsetzen.» Ihre Dozentin habe den Fokus immer auf dem Positiven gehabt. Das ist heute auch Andrea Liistro wichtig: «Es hat mich für den Umgang mit den Lernenden inspiriert.»

«Andere leisten sich Ferien»

«Ich weiss, was ich will», sagt Andrea Liistro. Dass sie nie eine Familie wolle, habe sie schon mit sieben Jahren gewusst. Stattdessen hat sie viel in den Beruf investiert. All ihre Aus- und Weiterbildungen habe sie selbst bezahlt und in ihrer Freizeit absolviert. «Es ist mir wichtig, unabhängig zu sein. Andere leisten sich Ferien, ich mir lieber eine Ausbildung.»

Lebenslanges Lernen: Das heisst für Andrea Liistro, immer wieder Neues auszuprobieren – und das nicht nur im Beruf. Oft werde sie viel jünger geschätzt. «Ich denke, das hat auch mit meinem Werdegang zu tun – wer nichts mehr lernt, wird alt.»